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Rechnungskorrekturen durch Krankenhäuser

Krankenhäuser können Rechnungskorrekturen gegenüber den Krankenkassen grundsätzlich bis zum Ablauf der vierjährigen Verjährung vornehmen. Insbesondere gilt für die Krankenhäuser keine Frist zur Geltendmachung von Nachforderungen von sechs Wochen nach Erstellung der Schlussrechnung. Eine Verwirkung des Vergütungsanspruchs des Krankenhauses kommt allenfalls in Betracht, wenn sich ein Krankenhaus länger als ein ganzes Rechnungsjahr Zeit lässt, um eine ohne rechtsbedeutsamen Vorbehalt erteilte „Schlussrechnung“ im Wege der Nachforderung mit Blick auf Grundlagen zu korrigieren. Bundessozialgericht, Urteil vom 19. April 2016, Az. B 1 KR 33/15 R

Hintergrund

Die klagende Krankenhausträgerin behandelte eine bei der beklagten Krankenkasse versicherte Patientin vom 23. September 2009 bis zum 20. Oktober 2009 stationär und berechnete hierfür insgesamt Behandlungskosten in Höhe von EUR 23.292,62. Die Schlussrechnung stellte das Krankenhaus mit Datum vom 26. Oktober 2009 und wurde durch die Krankenkasse umgehend beglichen. Das Krankenhaus korrigierte hieraufhin wegen nicht abgerechneter Beatmungsstunden den Rechnungsbetrag auf EUR 24.215,19 und forderte von der Krankenkasse mit Nachtragsrechnung vom 29. Dezember 2009 den Differenzbetrag von EUR 922,57. Die Krankenkasse lehnte eine Zahlung ab, da eine Rechnungskorrektur durch das Krankenhaus ihrer Meinung nach nur innerhalb von sechs Wochen nach Erstellung der Schlussrechnung möglich sei.

Entscheidung des Gerichts

Das Bundessozialgericht bestätigte die Entscheidungen des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts Hamburg und wies die Revision der Krankenkasse zurück. Das Gericht entschied, dass das Krankenhaus einen Anspruch auf die Nachzahlung in Höhe der weiteren EUR 922,57 habe. Das Krankenhaus sei nicht daran gehindert, seinen Restzahlungsanspruch auch noch nach Ablauf von mehr als sechs Wochen nach der Erstellung der Schlussrechnung gegenüber der Krankenkasse geltend zu machen. Weder sei der Anspruch des Krankenhauses auf Nachzahlung verwirkt gewesen, noch stünde dem Anspruch ein widersprüchliches Verhalten des Krankenhauses entgegen.

Eine Verwirkung des Nachzahlungsanspruches käme bereits deswegen nicht in Betracht, da das Rechtsinstitut der Verwirkung als ergänzende Regelung innerhalb der kurzen vierjährigen Verjährungsfrist grundsätzlich nicht passe. Es fände nur in besonderen, engen Ausnahmekonstellationen Anwendung, etwa wenn sich ein Krankenhaus länger als ein ganzes Rechnungsjahr Zeit lasse, um eine ohne rechtsbedeutsamen Vorbehalt erteilte „Schlussrechnung“ im Wege der Nachforderung mit Blick auf Grundlagen zu korrigieren, die dem eigenen Verantwortungsbereich entstammen. Um eine derart verspätete Nachforderung ging es in diesem Fall indes nicht. Die Schlussrechnung des Krankenhauses wurde am 26. Oktober 2009 gestellt, die Nachforderung erfolgte bereits am 29. Dezember 2009.

Auch müsse sich das Krankenhaus kein widersprüchliches Verhalten entgegenhalten lassen. Ein Krankenhaus sei nur dann unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Verhaltens daran gehindert, eine Nachforderung zur Schlussrechnung geltend zu machen, wenn die Krankenkasse auf die Schlussrechnung vertraut hat und ihr Vertrauen schutzwürdig ist. In jedem Einzelfall müssen die Interessen des Krankenhauses und die der Krankenkasse umfassend geprüft und gegeneinander abgewogen werden. Es bedürfe grundsätzlich einzelfallbezogener besonderer Umstände, um ein schützenswertes Vertrauen der Krankenkasse darauf zu begründen, dass keine Nachberechnung erfolgt. Die Schutzwürdigkeit der Krankenkasse kann sich insbesondere daraus ergeben, dass sie auf eine abschließende Berechnung der Krankenhausvergütung vertraut hat sowie vertrauen durfte und sich darauf in einer Weise eingerichtet hat, dass ihr eine Nachforderung nach Treu und Glauben nicht zugemutet werden kann.

Ein solcher (Einzel-)Fall liegt in dem hier entschiedenen Fall nicht vor. Es war für das Gericht nicht erkennbar, dass und in welcher Art sich die Krankenkasse nach der erteilten Schlussrechnung vom 26. Oktober 2009 darauf eingestellt haben soll, dass das Krankenhaus im noch laufenden Geschäfts- bzw. Rechnungsjahr keine Nachforderung geltend machen würde. Bei einer sowohl auf Seiten der Krankenkasse als auch auf Seiten des Krankenhauses bestehenden Massenverwaltung seien Korrekturen aufgrund unbeabsichtigter Abrechnungsfehler vielmehr zu erwarten.

Ein schützenswertes Vertrauen der Krankenkasse ergäbe sich auch nicht von selbst aus dem Rechtsgedanken des § 275 Abs. 1c S 2 SGB V. Der ungenutzte Ablauf der Sechs-Wochen-Frist des § 275 Abs. 1c S 2 SGB V bewirke schon vom rechtlichen Ansatz her keinen Einwendungsausschluss. Das Beschleunigungsgebot des § 275 Abs. 1c S 2 SGB V führe lediglich dazu, dass Krankenkasse und MDK bei einzelfallbezogenen Auffälligkeitsprüfungen nach Ablauf der Frist auf die Daten beschränkt sind, die das Krankenhaus der Krankenkasse im Rahmen seiner Informationsobliegenheiten bei der Krankenhausaufnahme und zur Abrechnung - deren vollständige Erfüllung vorausgesetzt - jeweils zur Verfügung gestellt hat. Das Recht der Krankenkasse bleibe unberührt, für eine Prüfung andere zulässige Informationsquellen zu nutzen. Der ungenutzte Ablauf der Frist des § 275 Abs. 1c S 2 SGB V hindere die Krankenkasse nicht, die Abrechnung des Krankenhauses auf dieser Grundlage wegen Auffälligkeit zu prüfen. Auch bliebe das Recht der Krankenkassen, die Abrechnung sachlich und rechnerisch zu prüfen, gänzlich unberührt.

Obgleich es in dieser Entscheidung hierauf nicht ankam, nutzte das Gericht die Gelegenheit dazu seine Auffassung darzutun, dass die Zahlungsregelung des § 11 Abs. 2 des Landesvertrages nach § 112 SGB V unwirksam sei. Nach der Regelung des § 11 Abs. 2 Vertrages „Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung“ (KHBV) können Beanstandungen rechnerischer oder sachlicher Art auch nach Bezahlung der Rechnung (nur) innerhalb von sechs Monaten geltend gemacht werden (Satz 1). Die gleiche, Frist von sechs Monaten gelte auch für Nachforderungen der Krankenhäuser (Satz 2) und wurde durch das Krankenhaus eingehalten. Eine solche Einschränkung der Möglichkeiten etwaige Beanstandungen geltend zu machen, stünde nach Auffassung des Bundessozialgerichts aber den übrigen gesetzlichen Regelungen entgegen.

Das Wirtschaftlichkeitsgebot verbiete es, Überprüfungsmöglichkeiten der Krankenkassen gegenüber Vergütungsansprüchen der Krankenhäuser über die allgemeinen gesetzlichen Rahmenvorgaben hinaus zeitlich einzuschränken. Bei § 11 Abs. 1 S. 1 KHBV handele es sich aber gerade um eine solche, die Überprüfungsmöglichkeit der Krankenkasse zeitlich einschränkende materiell-rechtliche Ausschlussfrist, da hierdurch Einwendungen rechnerischer und sachlicher Art (auch nach Bezahlung der Rechnung) nur innerhalb von sechs Monaten nach Rechnungszugang geltend gemacht werden können. Nach dem Willen des Gesetzgebers sind die Krankenkassen jedoch jederzeit dazu berechtigt, die sachlich-rechnerische Richtigkeit einer Abrechnung von Krankenhausvergütung mit Blick auf Leistungsverweigerungsrechte oder nicht verjährte Erstattungsforderungen zu überprüfen. Aufgrund dieses Verstoßes gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot sei § 11 Abs. 2 S. 1 KHBV teilnichtig, was eine Gesamtnichtigkeit der Regelung und damit auch die Nichtigkeit des § 11 Abs. 2 S. 2 KHBV zur Folge hat. Damit ist jedoch auch die Regelung, nach welcher auch Krankenhäuser ihre Nachforderungen binnen einer Frist von sechs Monaten geltend machen müssten, unwirksam.

Bewertung

Die Entscheidung des Ersten Senats des Bundessozialgerichts ist deutlich zu begrüßen. So gibt das Gericht nun eine vielfach kritisierte eigene Rechtsprechung zu Rechnungskorrekturen durch Krankenhäuser auf. Mit Entscheidung vom 17. Dezember 2009 hatte der Dritte Senat des Bundessozialgerichts noch die Auffassung vertreten, dass eine Rechnungskorrektur des Krankenhauses nach Ablauf von sechs Wochen ab Rechnungslegung einer vorbehaltlosen Schlussrechnung nur dann noch möglich sein soll, wenn sich der Nachforderungsbetrag auf mindestens EUR 300,00 und 5 Prozent des Ausgangsrechnungsbetrages belaufe. Diese Voraussetzungen waren im nun entschiedenen Fall nicht gegeben; die Nachforderung des Krankenhauses betrug lediglich 3,96 Prozent der Ausgangsrechnung und dennoch gab das Gericht der Forderung des Krankenhauses statt. Den Ausführungen des Gerichts war hierzu zu entnehmen, dass es für eine solche „Bagatellgrenze” im Krankenhausvergütungsrecht keine Grundlage gäbe. An dieser Rechtsprechung hält das Bundessozialgericht nunmehr nicht länger fest. Die aktuelle Entscheidung des Bundessozialgerichts enthält jedoch auch einen Wehrmutstropfen. So weist das Gericht zum Ende seiner Entscheidungsbegründung darauf hin, dass den Krankenkassen ein Schadensersatz für den erforderlich gewordenen Mehraufwand für die Bearbeitung von spät angemeldeten Nachforderungen zustehen könnte, wenn in der Rechnungskorrektur eine schuldhafte Nebenpflichtverletzung durch das Krankenhaus zu erkennen ist. Die Höhe eines solchen Schadensersatzanspruches könnte dabei geschätzt werden. Weitere Erwägungen des Gerichts hierzu sind der Entscheidung nicht zu entnehmen. Insbesondere lässt das Gericht offen, wann in einer Nachforderung des Krankenhauses eine Pflichtverletzung liegt und wann es sich um einen bloßen Korrekturvorgang im Rahmen einer ständigen Vertragsbeziehung handelt. Die Überlegungen des Gerichts regen nicht zuletzt deswegen zum Nachdenken an, da die Krankenkassen im Rahmen der sachlichrechnerischen Überprüfung der Krankenhausabrechnung zweifellos dazu berechtigt sind, Abrechnungen bis zum Ende der vierjährigen Verjährungsfrist zu prüfen und zu beanstanden, ohne dass hierin eine schadenersatzpflichtige Nebenpflichtverletzung zu erkennen ist. Weshalb den Krankenhäusern durch eine solche Prüfung und Nachforderung eine Verletzung einer Nebenpflicht unterstellt werden könnte, leuchtet nicht ohne Weiteres ein.

Wenn Sie Fragen zu diesem Thema haben, wenden Sie sich bitte an Herrn Matthias Wrana.

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