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Keine Abwälzung von Unternehmensgeldbußen auf (ehemalige) Vorstände und Geschäftsführer

Zur Tragweite des (Teil-)Urteils des LAG Düsseldorf vom 20.01.2015, Az.: 16 Sa 459/14 "Schienenkartell"

Sachverhalt:

Das Bundeskartellamt hatte gegen die Klägerin, eine im Stahlhandelsbereich tätige GmbH, wegen Kartellabsprachen beim Vertrieb von Schienen und anderer Oberbaumaterialien, ein Bußgeld in Höhe von EUR 191 Mio. verhängt. Die Gesellschaft forderte daraufhin die Erstattung der Kartellbuße von ihrem ehemaligen Geschäftsführer, dem sie eine aktive Beteiligung an den rechtswidrigen Kartellabsprachen oder zumindest Kenntnis davon vorwirft. Eine Haftung ergebe sich laut der Klägerin – unabhängig von einer Beteiligung oder Kenntnis – jedenfalls aus der Verletzung seiner Aufsichtspflichten als Geschäftsführer. Dieser Auffassung hat das LAG Düsseldorf mit Teilurteil vom 20. Januar 2015 einen Riegel vorgeschoben und damit die wissenschaftliche Diskussion zum Thema Organhaftung erneut angefacht.

Entscheidung:

Zwar bestätigt das LAG, dass der Geschäftsführer gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG im Innenverhältnis für Schäden der Gesellschaft dem Grunde nach haften muss, welche er unter Verstoß gegen seine Obliegenheiten verursacht hat. Eine solche Obliegenheit stellt die Legalitätspflicht dar, wonach der Geschäftsführer sämtliche Rechtsvorschriften zu beachten hat, die die Gesellschaft im Außenverhältnis treffen. Dazu zählt auch das europäische und deutsche Kartellrecht. Allerdings komme eine Abwälzung der vom Bundeskartellamt gegen die Gesellschaft verhängten Bußgelder auf den Geschäftsführer von vornherein und unabhängig davon, ob und in welchem Umfang die klägerischen Vorwürfe berechtigt sind, nicht in Betracht. Das LAG geht insofern von einem vollständigen Ausschluss der Haftung des Organvertreters im Innenverhältnis für Bußgelder seiner Gesellschaft aus.

Dies beruht auf folgenden Erwägungen: Die Bußgeldregelung des § 81 GWB besagt in aller Deutlichkeit, wer Adressat der verhängten Geldbuße sein soll. So differenziert § 81 Abs. 4 S.

1 und S. 2 GWB zwischen Bußgeldern, die gegen natürliche Personen verhängt werden und solchen gegen Unternehmen. Hat eine natürliche Person eine Geldbuße zu tragen, so ist diese Buße gemäß § 81 Abs. 4 S. 1 GWB auf EUR 1 Mio. begrenzt, während bei Unternehmen nach S. 2 der Vorschrift die Buße bis zu zehn Prozent des Gesamtjahresumsatzes ausmachen kann. Nach Ansicht des LAG würde diese vom Gesetzgeber vorgenommene Differenzierung unterlaufen, wenn es den Unternehmen auf der Basis von § 43 GmbHG möglich wäre, das gegen sie verhängte Bußgeld an die gesetzlich privilegierte natürliche Person durchzureichen. Aus diesem Grund sei die ordnungsrechtliche Wertung des § 81 GWB auch im Zivilrecht zu berücksichtigen. Zudem verdeutliche auch die Kronzeugenregelung, die für das erste antragstellende Unternehmen die Chance auf eine vollständige Bußgeldfreiheit bzw. Reduzierung beinhaltet, dass die Verhängung der Geldbuße und deren Höhe ausschließlich auf das Unternehmen zugeschnitten sind.

Das LAG stützt seine Ansicht ferner auf einen Vergleich zwischen Unternehmensgeldbußen und gegen natürliche Personen verhängte Geldbußen. Bei letzteren wird die Möglichkeit der Übernahme von Geldbußen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern mit der Begründung verneint, dass dies die Hemmschwelle des Arbeitnehmers, Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten zu begehen, herabsetzen würde. Im Vorfeld erteilte Zusagen des Arbeitsgebers, Geldbußen oder Geldstrafen des Arbeitsnehmers zu übernehmen, sind daher regelmäßig wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig. Eine Unterscheidung bei Unternehmensgeldbußen sei nach Ansicht des LAG nicht einsichtig, da der Zweck des Kartellrechts darin bestehe, dass Unternehmen selbst zu treffen, um dessen zukünftiges Verhalten zu beeinflussen.

Ferner beruhen Geldbußen sowohl im deutschen als auch im europäischen Kartellrecht u.a. auf dem Gedanken der Abschöpfung eines durch die kartellrechtswidrige Verhaltensweise eingetretenen wirtschaftlichen Vorteils. Diese Abschöpfung hat dann naturgemäß bei demjenigen zu erfolgen, der besagten Vorteil erlangt hat, also dem Unternehmen. Dieser Zweck würde konterkariert, wenn der abzuschöpfende Vorteil vom Unternehmen an Einzelpersonen weitergereicht werden könnte.

Schließlich sieht sich das LAG auch nicht im Widerspruch zur höchstrichterlichen Rechtsprechung des BGH zur Haftung Dritter für Bußgelder, etwa eines Steuerberaters für die Geldbuße eines Kunden aufgrund einer nicht sachgerechten Beratung (BGH, NJW 1997, 518, 519), da es in der vorliegenden Konstellation – anders als bei dem Steuerberater-Fall – an einer vertraglichen Garantenstellung fehle.

Im Ergebnis scheide daher ein Regress im Rahmen der Innenhaftung aus.

Bewertung:

Das Urteil des LAG Düsseldorf ist sowohl für die mit der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen betrauten Aufsichtsorgane als auch für in Anspruch genommene (ehemalige) Geschäftsführer und Vorstände von besonderer Bedeutung, da hier erstmals ein deutsches Obergericht über die Haftung eines Organvertreters für Kartellrechtsbußen, die gegen Unternehmen verhängt worden sind, entschieden hat.

Das LAG setzt sich ausführlich mit den unterschiedlichen Ansätzen zur Auflösung des Konflikts zwischen der ordnungsrechtlichen Sanktionierung und der zivilrechtlichen Lastentragung auseinander und kommt dabei zu einem von den Besonderheiten des Kartellrechts orientierten Ergebnis, welches insbesondere von dem Anliegen geprägt ist, eine Umgehung der gesetzgeberischen Wertung des § 81 GWB zu vermeiden.

Dass dieser Ansatz nicht nur Zustimmung (vgl. NJW-Spezial 2015, 304; Bachmann, BB 2015, 907, 911) erfährt, zeigt sich anhand der ersten Beiträge aus Wissenschaft und Praxis. Insbesondere die vom LAG vorgenommen Auseinandersetzung mit der BGH-Rechtsprechung zur Haftung Dritter für Bußgelder vermag nach Ansicht einiger Stimmen nicht zu überzeugen, da der einzige Unterschied zwischen beiden Konstellationen darin bestehe, dass die Garantenpflicht des Geschäftsführers nicht aus Vertrag, sondern aus seiner Organstellung folge (Kolb, GWR, 2015, 169). Eine derartige Differenzierung sei laut Kolb nicht gerechtfertigt, zumal auch aus dem Anstellungsvertrag eine entsprechende vertragliche Verpflichtung zu konstruieren sein dürfte. Darüber hinaus wird die Verschiebung der zivilrechtlichen Haftung, welche nach Ansicht des Gerichts durch die Besonderheiten des Kartellrechts gerechtfertigt ist, scharf kritisiert (Suchy, NZG 2015, 591, 592). Suchy verneint insofern den Ansatz, dass bei einer Abwälzung des Schadens auf den Geschäftsführer die Zwecke der Geldbuße konterkariert würden. Da die Zwecke der Ordnungsmaßnahme in Form der Ahndung und Prävention bereits durch die Festsetzung der Geldbuße gegen das Unternehmen erfüllt seien, z.B. durch den Imageschaden aufgrund negativer Berichterstattung. So dürfe allein der Umstand, dass der Schaden im konkreten Fall durch eine kartellrechtliche Geldbuße gegen das Unternehmen und nicht durch einen anderen Grund verursacht wurde, nicht dazu führen, dass sich im Nachgang das zivilrechtliche Haftungsregime verschiebt.

Praxishinweis:

Das Urteil des LAG Düsseldorf hat sicherlich zu einem Aufatmen bei betroffenen Geschäftsführern geführt. Es kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass betroffene Organmitglieder durch Amtsverlust, Reputations- und Gehaltseinbußen sowie durch das Einstehenmüssen für alle übrigen Schäden, z.B. in Gestalt von Schadenersatzansprüchen kartellgeschädigter Dritter, welche das LAG nicht abgewiesen, sondern nur bis zum Ende des Strafverfahrens des Beklagten ausgesetzt hat (Bachmann, BB 2015, 907, 911), mitnichten "billig" davonkommen.

Zudem ist die Entscheidung des LAG nicht in Stein gemeißelt, aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung dieses Falles hat es die Revision zum BAG zugelassen.

Sollte die Revision bis zum Ende durchgefochten werden, könnte jedoch eine zentrale Frage des Organhaftungsrechts bald endgültig geklärt sein.

Bei Fragen zu diesem Thema kontaktieren Sie bitte: Dr. Theresa Ilgner

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