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Die grunderwerbsteuerliche Ersatzbemessungsgrundlage ist verfassungswidrig

BVerfG, Beschluss vom 23.06.2015, (1 BvL 13/11, 1 Bvl 14/11)

Der BVerfG-Beschluss vom 23. Juni 2015 ist für die Grunderwerbsteuer ebenso grundlegend wie die BVerfG-Entscheidung vom 17. Dezember 2014 für die Erbschaftsteuer: Nach Auffassung des BVerfG ist die grunderwerbsteuerliche Ersatzbemessungsgrundlage, die bei bestimmten Erwerbstatbeständen anstelle des Kaufpreises (als Regel-Bemessungsgrundlage) zur Anwendung kommt, vor dem Hintergrund eines unabhängig von der Art und Weise der Wertermittlung anwendbaren Grunderwerbsteuersatzes nicht gleichheitskonform ausgestaltet. Der Gesetzgeber ist nun zu einer Neuregelung bis zum 30. Juni 2016 verpflichtet, und zwar rückwirkend zum 1. Januar 2009.

Hintergrund

Die Grunderwerbsteuer bemisst sich im Regelfall nach dem Wert der Gegenleistung für das Grundstück (in der Regel der Kaufpreis), § 8 Abs. 1 GrEStG. Was als Gegenleistung gilt und was jeweils zur Gegenleistung gehört, bestimmt § 9 GrEStG.

In bestimmten Fällen kommt jedoch der Grundbesitzwert als sog. Ersatzbemessungsgrundlage zur Anwendung. Der Grundbesitzwert wird nach den Vorgaben des Bewertungsgesetzes (§ 138 Abs. 2 bis 4 BewG) berechnet und kommt zur Anwendung,

  • wenn „eine Gegenleistung nicht vorhanden oder nicht zu ermitteln ist“,
  • bei „Umwandlungen [...], Einbringungen sowie bei anderen Erwerbsvorgängen auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage“ und
  • soweit 95 Prozent oder mehr der Anteile an grundbesitzenden Gesellschaften (rechtlich oder wirtschaftlich) übertragen bzw. vereinigt werden (§ 8 Abs. 2 GrEStG)



Bereits aus dieser Aufstellung wird deutlich, dass die Ersatzbemessungsgrundlage nach den gesetzlichen Vorgaben in bestimmten Fällen zur Anwendung kommt, obwohl eine Gegenleistung vorliegt – der Gesetzgeber hat hier typisiert, wobei er an das Gebot der gleichheitskonformen Ausgestaltung des Gesetzes gebunden ist.

Die §§ 138 ff. BewG waren ursprünglich auch für die Erbschaftsteuer anwendbar. Aufgrund der Entscheidung des BVerfG vom 7. November 2006 zur Erbschaftsteuer (BVerfGE 117, 1) hatte der Gesetzgeber aber mit Wirkung ab dem 1. Januar 2009 neue erbschaftsteuerliche Bewertungsvorschriften für Grundvermögen eingeführt (§§ 157 ff. BewG); seither gelten die §§ 138 ff. BewG nur noch für die Grunderwerbsteuer.

Der Grunderwerbsteuer-Hebesatz beträgt nach § 11 Abs. 1 GrEStG 3,5 Prozent. Seit September 2006 sind jedoch die Bundesländer befugt, den Hebesatz jeweils selbst zu bestimmen. Zwischenzeitlich gilt nur noch in Bayern und Sachsen der Hebesatz von 3,5 Prozent, während in allen übrigen Bundesländern Hebesätze zwischen 4,5 und 6,5 Prozent zur Anwendung kommen. In allen Bundesländern wird dabei der (dort jeweils geltende) Hebesatz unabhängig von der Art und Weise der grunderwerbsteuerlichen Wertermittlung vorgenommen (sprich: es gilt ein Tarif, egal ob als Bemessungsgrundlage im Einzelfall die Gegenleistung oder der Grundbesitzwert anzusetzen ist).

Entscheidungssachverhalte

In beiden Vorlageverfahren hatten die jeweiligen Klägerinnen Anteile an grundbesitzenden Gesellschaften erworben und dabei – nach Überzeugung von Finanzamt, FG und BFH – grunderwerbsteuerbare Tatbestände verwirklicht. Das jeweils zuständige Finanzamt hatte in beiden Vorlageverfahren in Anwendung von § 8 Abs. 2 GrEStG die grunderwerbsteuerliche Bemessungsgrundlage nach § 138 BewG ermittelt, d. h. die Grundbesitzwerte der Besteuerung zugrunde gelegt. Im Verfahren 1 BvL 14 /11 hatte die Klägerin die Gleichheits- und Verfassungswidrigkeit der Anwendung der Grundbesitzwerte gerügt, sodass hier das BMF nach Aufforderung des BFH beigetreten war und die Anwendung der Grundbesitzwerte als verfassungskonform verteidigt hatte.

Beide Verfahren hatte der BFH ausgesetzt und dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob § 11 GrEStG (d. h. die Regelung zum Hebesatz) mit Artikel 3 Abs. 1 GG insofern unvereinbar ist, als er die Beteiligten an den in § 8 Abs. 2 GrEStG genannten Erwerbsvorgängen, bei denen die Ersatzbemessungsgrundlage gemäß § 138 Abs. 2 und 3 BewG in der für 2001 und 2002 geltenden Fassung zur Anwendung kommt, mit einheitlichen Steuersätzen belastet. Der BFH war von einem Verstoß des § 11 GrEStG in Verbindung mit § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 GrEStG und §§ 138 ff. BewG gegen den allgemeinen Gleichheitssatz überzeugt.

Entscheidung des BVerfG

Das BVerfG präzisierte in seiner Entscheidung zunächst die Vorlagefragen des BFH:

  • Da der BFH in seiner Vorlagefrage nur die Verfassungsmäßigkeit der Anwendung eines einheitlichen Tarifs auf die Anwendungsfälle der Ersatzbemessungsgrundlage aufgeworfen habe, bedürfe es insofern keiner Überprüfung der grund- erwerbsteuerlichen Tarifnorm (§ 11 GrEStG), denn der BFH sehe den möglichen Verstoß bereits in der (vom Regelfall Gegenleistung abweichenden) Zugrundelegung der Ersatzbemessungsgrundlage. In diesem Rahmen seien vom BVerfG aber alle Tatbestandsvarianten des § 8 Abs. 2 S. 1 GrEStG zu überprüfen.
  • Zwar habe der BFH die Vorlagefrage auf § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 GrEStG (Anteilsübertragung) beschränkt; da jedoch § 8 Abs. 2 GrEStG in seinem einleitenden Halbsatz für alle Anwendungsfälle auf die §§ 138 ff. BewG verweise, sah es das BVerfG als geboten an, die Beantwortung der Vorlagefrage auf alle Anwendungsfälle des § 8 Abs. 2 GrEStG zu erstrecken.
  • Zwar habe der BFH seine Vorlagefrage auf die Fassung der betreffenden Normen für die (streitrelevanten) Jahre 2001 und 2002 beschränkt; mit „Rücksicht auf die Befriedungsfunktion der Normenkontrolle“ sei aber die verfassungsgerichtliche Überprüfung insgesamt auf den Zeitraum ab dem 1. Januar 1997 bis zum Ergeben der verfassungsgerichtlichen Entscheidung zu erstrecken. Das BVerfG befand hierzu: „Die Rechtslage zu § 8 Abs. 2 GrEStG hat sich seit Anfang 1997 weder vor den für die Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitpunkten noch danach substanziell verändert. Daher gibt es keinen Grund, die verfassungsgerichtliche Kontrolle auf die Jahre 2001 und 2002 zu beschränken und so die Rechtslage über einen Zeitraum von weit mehr als zehn Jahren ungeklärt zu lassen.“



Vor dem Hintergrund der BVerfG-Entscheidung zum Erbschaftsteuerrecht vom 7. November 2006 hatte das BVerfG – wegen des Vortrags des BMF im Verfahren 1 BvL 14/11 – auch darauf einzugehen, ob die seinerzeitige Weitergeltungsanordnung des BVerfG im Hinblick auf die §§ 138 ff. BewG als damalige Wertermittlungsvorschriften für Zwecke der Erbschaftsteuer einer (erneuten) Vorlage an das BVerfG hier verfahrensrechtlich entgegen stand. Das BVerfG entschied hierzu im ersten Leitsatz: Durch die damalige Entscheidung des BVerfG sei weder mit Gesetzeskraft noch anderweitig mit Bindungswirkung über die Anwendung der §§ 138, 140 ff. BewG für Zwecke der Grunderwerbsteuer entschieden worden. Der Vorlage durch den BFH stehe daher die damalige Entscheidung zur Erbschaftsteuer nicht entgegen; die in der dortigen Entscheidung enthaltene Weitergeltungsanordnung für die §§ 138, 140 ff. BewG sei auf deren Anwendung für Zwecke der Erbschaftsteuer beschränkt gewesen.

Vor diesem Hintergrund entschied das BVerfG: „§ 8 Abs. 2 GrEStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 1997 sowie in allen seitherigen Fassungen ist mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Die Regelung über die Bestimmung der Ersatzbemessungsgrundlage nach § 8 Abs. 2 GrEStG führt in den davon erfassten Fällen zu einer Ungleichbehandlung gegenüber der Grunderwerbsteuererhebung nach Maßgabe der Regelbemessungsgrundlage des § 8 Abs. 1 (a) GrEStG. Diese Ungleichbehandlung ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.“

Das BVerfG führte zur Begründung seiner Entscheidung aus, dass die Regelbemessungsgrundlage (Gegenleistung) sich jedenfalls nach der maßgebenden gesetzgeberischen Intention an dem gemeinen Wert (Verkehrswert) des Grundstückes orientiere; die Ersatzbemessungsgrundlage, die nach den §§ 138 ff. BewG ermittelt wird, führe dagegen „im Durchschnitt zu weit unter dem Verkehrswert liegenden Ergebnissen“.

Zur Herleitung dieser Begründung knüpfte das BVerfG ausdrücklich an die im Verfahren zur BVerfG-Entscheidung vom 7. November 2006 zur Erbschaftsteuer gewonnenen Erkenntnisse an: Auch wenn diese Entscheidung für die Anwendung der §§ 138 ff. BewG im Bereich der Grunderwerbsteuer keine verfahrensrechtliche Bindungswirkung entfaltet, so sei doch die damals für das Erbschaftsteuerrecht gewonnene Erkenntnis – die Grundbesitzwerte führen gemessen am Verkehrswert regelmäßig zu niedrigeren Werten – ohne Weiteres auf den hiesigen Fall übertragbar.

Nach den Feststellungen des BVerfG führt die Anwendung der Ersatzbemessungsgrundlage zu Ergebnissen, die „durchschnittlich 50 Prozent bzw. 70 Prozent des Verkehrswertes“ erreichen (bei land- und forstwirtschaftlich genutztem Vermögen sogar in der Regel nur 10 Prozent); zusätzlich gebe es auch erhebliche Divergenzen bei Anwendung der Ersatzbemessungsgrundlage. „Nicht nur die generelle Unterbewertung bei der Ersatzbemessungsgrundlage, sondern auch die großen Wertschwankungen, die sich innerhalb der jeweiligen Vermögensgruppen aus den Bewertungsregeln der §§ 138 ff. BewG ergeben [...], führen zu Ungleichbehandlungen gegenüber den Anwendungsfällen der Regelbemessungsgrundlage. [...] Ein hinreichend gewichtiger Sachgrund zur Rechtfertigung der erheblichen Ungleichbehandlung der Fälle der nach der Gegenleistung bemessenen Grunderwerbsteuer (§ 8 Abs. 1 GrEStG) und der Fälle der nach Maßgabe der Ersatzbemessungsgrundlage zu bemessenden Grunderwerbsteuer (§ 8 Abs. 2 GrEStG) ist nicht ersichtlich; sie ist daher mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar“

Das BVerfG nahm gleichwohl nicht die Nichtigkeit des § 8 Abs. 2 GrEStG an, sondern ihre Unanwendbarkeit für Sachverhalte ab dem 1. Januar 2009. Es sprach die Verpflichtung des Gesetzgebers aus, bis zum 30. Juni 2016 eine gleichheitskonforme Neuregelung – rückwirkend zum 1. Januar 2009 – zu beschließen.

Konsequenzen für die Praxis

Das BVerfG hätte eigentlich feststellen müssen, dass die Anwendung eines einheitlichen Tarifs (§ 11 GrEStG; d. h. der Tarif des jeweiligen Bundeslandes) auf die Fälle, in denen die Grunderwerbsteuer nach der Gegenleistung (§ 8 Abs. 1 GrEStG) und die Fälle, in denen sie nach dem Grundbesitzwert (§ 8 Abs. 2 GrEStG) ermittelt wird, verfassungswidrig ist.

Aus dem Beschluss des BVerfG ergibt sich, dass die tatsächlich gleichheitswidrig benachteiligten Fälle in der Regel diejenigen sind, bei denen sich die Grunderwerbsteuer nach dem Entgelt bemisst – also insbesondere der einfache Grundstückskauf. Denn diese Fälle werden nach dem Beschluss des BVerfG im Vergleich ohne sachliche Rechtfertigung höher besteuert.

Da das BVerfG jedoch die verfassungsrechtliche Überprüfung der Tarifvorschrift (§ 11 GrEStG) mit weder dogmatisch noch im Ergebnis überzeugender Begründung aus der Beantwortung der Vorlagefrage ausgeklammert hat, hat der Beschluss für diese eigentlich „betroffenen“ Fälle soweit derzeit absehbar keine direkte Auswirkung. Nach dem vorliegenden Beschluss dürfte es sich jedoch empfehlen, Grunderwerbsteuer-Festsetzungen gerade in diesen Fällen (= die Bemessungsgrundlage wurde nach dem Entgelt ermittelt), d. h. insbesondere beim einfachen Grundstückskauf, durch Einspruch offen zu halten. Dadurch bestünde dann jedenfalls verfahrensrechtlich die Möglichkeit, für die festgesetzte Grunderwerbsteuer zu einem späteren Zeitpunkt eine angemessene Herabsetzung zur Beseitigung der gleichheitswidrigen Mehrbelastung zu erreichen. Wenn der Gesetzgeber seinen Auftrag richtig umsetzt, würde zwar die gleichheitswidrige Benachteiligung dieser Fälle bis Mitte nächsten Jahres rückwirkend beseitigt; man darf jedoch gespannt sein, ob das gelingt.

Für die beschlussgegenständlichen Fälle (Ermittlung der Grunderwerbsteuer auf Basis der Ersatzbemessungsgrundlage) gilt Folgendes:

Aufgrund entsprechender Anordnung der obersten Finanzbehörden der Länder vom 17. Juni 2011 (vgl. BMF vom 16. Mai 2011) ergehen Grunderwerbsteuerbescheide und Feststellungsbescheide über die Grundbesitzwerte im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit der Heranziehung der Grundbesitzwerte zur Wertermittlung in der Regel nur noch vorläufig. Die betreffenden Bescheide können daher im Rahmen der verfahrensrechtlichen Verjährungsvorschriften grundsätzlich noch geändert werden.

Der Gesetzgeber wird nun – wie er dies bereits nach der BVerfG-Entscheidung vom 17. November 2006 zur Erbschaftsteuer getan hat – die maßgebenden Bewertungsvorschriften und vermutlich den gesetzlichen Katalog der Fälle, in denen die grunderwerbsteuerliche Ersatzbemessungsgrundlage Anwendung findet, überarbeiten. Dies wird dazu führen, dass die Ersatzbemessungsgrundlage (die jedenfalls in den Fällen, wo es tatsächlich keine Gegenleistung gibt, notwendig bleiben wird) nach einem Verfahren zu ermitteln sein wird, welches nach Auffassung des Gesetzgebers in der Regel die Verkehrswerte abbildet. Die Grunderwerbsteuer auf Basis dieser neu zu definierenden Ersatzbemessungsgrundlage wird daher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit höher sein als die bisher nach § 8 Abs. 2 GrEStG i. V. m. §§ 138 ff. BewG festgesetzte. In allen betroffenen Fällen wird dann (anhand der Verjährungs- und Vertrauensschutzvorschriften) jeweils zu prüfen sein, ob diese höhere Grunderwerbsteuer (nachträglich) vom Steuerpflichtigen noch verlangt werden kann.

Bei Fragen zu diesem Thema kontaktieren Sie bitte: Dr. Malte Strüber

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