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Zum Wegfall des Kleinbeteiligtenprivilegs bei koordinierter Finanzierung durch mehrere Gesellschafter

Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 26.01.2023 erstmals die konkreten Voraussetzungen genannt, nach denen bei einer koordinierten Finanzierung durch mehrere Gesellschafter das Kleinbeteiligtenprivileg des § 39 Abs. 5 InsO entfallen kann.

BGH, Urteil vom 26.01.2023 – IX ZR 85/21

Sachverhalt

Drei Gesellschafter, die mit ca. 50%, ca. 40% und mit 10% an einer zwischenzeitlich insolventen Gesellschaft beteiligt sind, hatten dieser im Zuge eines Investitionsvorhabens ein Gesellschafterdarlehen gewährt. Zusätzlich verbürgten sie sich gegenüber einem Dritten für dessen Darlehensforderungen gegen die Gesellschaft. Zuvor hatten sich die drei Gesellschafter im Rahmen eines Konsortialverhältnisses untereinander zur Erbringung und Aufrechterhaltung der Darlehen und Bürgschaften verpflichtet. Sie bildeten eine GbR, an die als Sicherheit für die Darlehen und Bürgschaften eine Grundschuld auf dem Betriebsgrundstück der Gesellschaft abgetreten wurde.

Der Insolvenzverwalter verklagte die GbR auf Rückabtretung der Grundschuld. Er machte geltend, dass die Grundschuld ausschließlich zur Sicherung nachrangiger Forderungen im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO bestellt, somit nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar und deshalb durch die GbR an die Insolvenzmasse zurückzugewähren sei. Hiergegen brachte die Gesellschafterin, die mit 10% an der Insolvenzschuldnerin beteiligt und dem Verfahren als Streithelferin zu 2 beigetreten war, unter anderem vor, dass der Anfechtung gegen sie das Kleinbeteiligtenprivileg des § 39 Abs. 5 InsO entgegen stehe, da sie keine geschäftsführenden Tätigkeiten ausübe und lediglich mit 10% am Haftkapital der Gesellschaft beteiligt sei.

Sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht als Berufungsinstanz gaben der Klage des Insolvenzverwalters statt. Hiergegen wendete sich die Beklagte mit der Revision zum BGH.

Das Urteil des BGH vom 26.01.2023 – IX ZR 85/21

Die Revision blieb erfolglos. Der BGH bestätigte, dass dem Insolvenzverwalter der geltend gemachte Anspruch auf Rückabtretung der Grundschuld zustehe.

Der BGH ließ den auf das Kleinbeteiligtenprivileg gestützte Einwand der Gesellschafter nicht gelten. Es sei zwar zutreffend, dass dieses bei einer Beteiligung am Haftkapital von bis zu 10% (und nicht von weniger als 10%) grundsätzlich zur Anwendung gelange. Dem liege jedoch die Annahme des Gesetzgebers zugrunde, dass die lediglich in geringem Umfang beteiligten und nicht geschäftsführenden Gesellschafter grundsätzlich keine unternehmerische Verantwortung trügen. Deshalb werden diese ausnahmsweise als Insolvenzgläubiger und nicht als nachrangige Insolvenzgläubiger eingestuft, selbst wenn sie der Gesellschaft ein Darlehen gewährten.

Im vorliegenden Fall sei die gesetzgeberische Annahme jedoch widerlegt, da die Streithelferin zu 2 durch die koordinierte Finanzierung mit den beiden anderen Gesellschaftern eine über ihren nominellen Geschäftsanteil hinausgehende unternehmerische Verantwortung übernommen habe. Dies komme vor allem durch den Abschluss der Konsortialvereinbarung und der Gründung der GbR zum Ausdruck. Hierdurch habe sich die Streithelferin zu 2 einen über ihre 10%-ige Beteiligung am Haftkapital hinausgehenden Einfluss auf die Finanzierung der Gesellschaft gesichert. Folglich seien die Geschäftsanteile der beteiligten Gesellschafter zusammenzurechnen, weshalb die Anwendung des Kleinbeteiligtenprivilegs auch für die Streithelferin zu 2 ausscheide.

Insoweit komme es auch nicht darauf an, ob die koordinierte Finanzierung innerhalb der Krise der Gesellschaft oder innerhalb des Anfechtungszeitraums des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO erfolgt sei. Das maßgebliche Kriterium der über den nominellen Geschäftsanteil hinausgehenden unternehmerischen Verantwortung komme unabhängig davon zum Ausdruck.

Anmerkungen für die Praxis

Rückzahlungsansprüche aus Gesellschafterdarlehen nicht geschäftsführender Gesellschafter, die mit 10% oder weniger am Haftkapital der Gesellschaft beteiligt sind, genießen grundsätzlich das sogenannte Kleinbeteiligtenprivileg. Sie werden in der Insolvenz der Gesellschaft ausnahmsweise nicht als nachrangige Insolvenzgläubiger nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO behandelt und sind auch von einer möglichen Anfechtung nach § 135 Abs. 1 InsO ausgenommen.

Die maßgebliche Vorschrift des § 39 Abs. 5 InsO wurde durch das am 01.11.2008 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) eingeführt. Die Vorgängervorschrift des § 32a Abs. 3 S. 2 GmbHG aF, die nur für die GmbH galt, sah ebenfalls eine Beteiligungsgrenze in Höhe von 10% als zentrale Voraussetzung für die Anwendung des Kleinbeteiligtenprivilegs vor. Hierzu entschied der BGH schon im Jahre 2005, dass eine koordinierte Finanzierung dem Kleinbeteiligungsprivileg grundsätzlich entgegenstehen könne. Weiteres konnte der BGH jedoch offenlassen, da dies seinerzeit nicht entscheidungserheblich war. Zur aktuellen Rechtslage hatte sich der BGH bislang nicht geäußert.

Dass eine koordinierte Fremdfinanzierung der Anwendung des Kleinbeteiligtenprivilegs im Grundsatz entgegenstehen kann, wird auch überwiegend im Schrifttum angenommen. Allerdings besteht vor allem Uneinigkeit im Hinblick auf die konkreten Voraussetzungen, die hierfür vorliegen müssen. Vor allem wird teilweise darauf abgestellt, dass die koordinierte Finanzierung in der Krise der Gesellschaft oder gar im Anfechtungszeitraum des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO, d. h. im Jahr vor dem Insolvenzantrag, erfolgt sein müsse, um dem Kleinbeteiligtenprivileg entgegenzustehen.
Der BGH hat mit dem Kriterium der überschießenden unternehmerischen Verantwortung nunmehr seine Rechtsprechung aus dem Jahr 2005 konkretisiert. Er hat damit die zuvor in der Rechtsprechung noch offen gebliebene Voraussetzung benannt, die bei einer koordinierten Finanzierung zur Zusammenrechnung der Beteiligungen der einzelnen Gesellschafter führen kann, mit der Folge, dass dann die Anwendung des Kleinbeteiligungsprivilegs auch für solche nicht geschäftsführenden Gesellschafter ausscheidet, die lediglich mit maximal 10% am Haftkapital der Gesellschaft beteiligt sind. Der BGH hebt jedoch selbst hervor, dass zur Beurteilung nach wie vor die Umstände des jeweiligen Einzelfalls maßgebend bleiben.

Im Grundsatz ist die Entscheidung des BGH zu begrüßen, da sie die Voraussetzungen für eine mögliche Zusammenrechnung der einzelnen Gesellschaftsbeteiligungen greifbarer macht und somit zu mehr Rechtssicherheit beiträgt.

Richtigerweise stellt der BGH dabei klar, dass es hierbei nicht auf den Zeitpunkt der koordinierten Finanzierung durch die Gesellschafter ankommen kann. Die Entscheidung mahnt jedoch auch zur Vorsicht bei der Gewährung von Gesellschafterdarlehen unter Einbeziehung kleinstbeteiligter Gesellschafter. Hierbei sollte im Einzelfall stets geprüft werden, ob nach den Maßstäben des BGH eine koordinierte Finanzierung mit überschießender unternehmerischer Verantwortung vorliegt, die zum Wegfall des Kleinbeteiligtenprivilegs und damit zur Einstufung als nachrangiger Insolvenzgläubiger führen kann. Schließlich besteht bei der Insolvenz der Gesellschaft zumindest noch die Aussicht, als Insolvenzgläubiger quotal nach § 38 InsO zu befriedigt werden, während nachrangige Insolvenzgläubiger in aller Regel leer ausgehen.

Stephan Strubinger
Wilken Beckering

Dieser Blogbeitrag erscheint ebenso im Haufe Wirtschaftsrechtsnewsletter.

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