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9. GWB-Novelle: Das Bundeskartellamt als Weltfusionspolizei?

Der Referentenentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums zur 9. GWB-Novelle (>> Übersicht aller BB-Blogbeiträge zur 9. GWB-Novelle) liegt vor. Darin plant das Bundeswirtschaftsministerium unter dem Deckmantel der fortschreitenden Digitalisierung die zweite Inlandsumsatzschwelle für größere Transaktionen abzuschaffen und damit die deutsche Fusionskontrolle erheblich auszuweiten.

Die neue Aufgreifschwelle des Transaktionswerts

Bislang orientieren sich die Aufgreifschwellen der deutschen Fusionskontrolle alleine an den Umsatzerlösen, welche die beteiligten Unternehmen erzielen: Zusammenschlussvorhaben sind grundsätzlich beim Bundeskartellamt anzumelden, wenn die beteiligten Unternehmen weltweite Umsätze von zusammen mehr als EUR 500 Mio. erzielen, davon in Deutschland ein Unternehmen mehr als EUR 25 Mio. und ein anderes Unternehmen mehr als EUR 5 Mio. Künftig kommt es auf das letztgenannte Kriterium, die sog. 2. Inlandsumsatzschwelle nicht mehr an, wenn der Transaktionswert mehr als EUR 350 Mio. beträgt. Der Anwendungsbereich der deutschen Fusionskontrolle wird somit ausgeweitet. Ein Gang zum Bundeskartellamt soll nunmehr auch dann erforderlich sein, wenn

  • alle beteiligten Unternehmen zusammen im letzten Geschäftsjahr insgesamt Umsatzerlöse von mehr als EUR 500 Mio. erzielten; und
  • wenigstens ein beteiligtes Unternehmen im letzten Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss in Deutschland Umsatzerlöse von mehr als EUR 25 Mio. erzielte und wenigstens ein anderes beteiligtes Unternehmen im Inland tätig ist oder voraussichtlich tätig werden wird; und
  • der Wert der Gegenleistung für den Zusammenschluss mehr als EUR 350 Mio. beträgt.

Diese Neuregelung wird flankiert von Bestimmungen in § 38 RefE-GWB, wie der Wert der Gegenleistung zu berechnen ist. Der Begriff der Gegenleistung wird dabei weit gefasst. Einzubeziehen sind insbesondere auch übernommene Verbindlichkeiten und bedingte Gegenleistungen, z.

B. aufgrund von Earn-Out-Klauseln.

Praxisbeispiel

Ein ausländischer Konzern mit weltweiten Umsätzen von mehr als EUR 500 Mio., davon etwas mehr als EUR 25 Mio. in Deutschland, will seine Position in Asien stärken und dazu die Spartentochter eines asiatischen Konzerns für etwas mehr als EUR 350 Mio. erwerben. Diese Spartentochter ist vor allem in Asien aktiv, liefert aber langfristig Spezialprodukte im Wert von EUR 1 Mio. jährlich an das deutsche Werk (mit eigenständigem Einkauf) seiner bisherigen Konzernmutter.

Eine solche Transaktion war bislang in Deutschland nicht anmeldepflichtig: Denn das Zielunternehmen erzielt weniger als EUR 5 Mio. Umsatz in Deutschland. Künftig wird sie dagegen in Deutschland anmeldepflichtig sein: Die im Wesentlichen auf den umfangreichen asiatischen Geschäftsaktivitäten des Zielunternehmens beruhende Gegenleistung überschreitet den Schwellenwert. Auch ist das Zielunternehmen in Deutschland tätig, weil es an einen Kunden in Deutschland liefert. Dass das Zielunternehmen keinen Standort in Deutschland hat und die Umsätze bislang Innenumsätze waren, ist unbeachtlich.

Hintergründe

Mit der Neuregelung soll angeblich im Hinblick auf die zunehmende Digitalisierung der Wirtschaft eine wirksame Fusionskontrolle sichergestellt werden. Aufhänger ist die Übernahme von WhatsApp durch Facebook im Jahr 2014: Trotz eines sehr hohen Kaufpreises von USD 19 Mrd. konnte die Übernahme mangels Umsätzen von WhatsApp nur wegen der Anmeldepflicht in drei anderen EU-Mitgliedstaaten von der Europäischen Kommission geprüft werden. Mit der neuen Aufgreifschwelle will das Bundeswirtschaftsministerium daher verhindern, dass beispielsweise technologiestarke aufstrebende Konkurrenten vom Marktführer aufgekauft werden. In der Digitalwirtschaft soll ein hoher Kaufpreis signalisieren, dass innovative Geschäftsideen mit einem hohen wettbewerblichen Marktpotential vorhanden sind. Diese Erwägungen des Bundeswirtschaftsministeriums sind richtig: Die angedachte neue Aufgreifschwelle ist geeignet, um in solchen Konstellationen den Innovationswettbewerb zu schützen.

Kritik

Indes beschränkt sich der Anwendungsbereich der neuen Aufgreifschwelle nicht auf solche Fälle. Sie gilt vielmehr allgemein. Eine Disproportionalität zwischen einem hohen Kaufpreis und geringen deutschen Umsätzen des Zielunternehmens findet sich vor allem dort, wo das Zielunternehmen umfangreiche Geschäftsaktivitäten außerhalb Deutschlands, aber nur sehr geringe Geschäftsaktivitäten innerhalb Deutschlands hat. Dementsprechend werden künftig viele große internationale Transaktionen in Deutschland anzumelden sein – trotz eines nur marginalen Bezugs zu Deutschland. Wie das Anwendungsbeispiel oben zeigt sind davon alle Branchen betroffen. Besonders betroffen sein werden jedoch internationale Private Equity Transaktionen und größere Transaktionen mit drei oder mehr beteiligten Unternehmen. Vor diesem Hintergrund ist die vom Bundeswirtschaftsministerium erwartete Zahl an zusätzlichen Fusionskontrollverfahren von jährlich viel zu niedrig angesetzt. Tatsächlich werden die Hürden und Kosten für viele größere Transaktionen mit geringen, aber vorhandenen Berührungspunkten zu Deutschland erheblich steigen, falls der Entwurf in dieser Form Gesetz werden sollte. Nicht bewahrheitet hat sich immerhin die Befürchtung, die Verschärfung der Fusionskontrolle könne auch schon für normale Start-ups zum „Anti-Exit-Gesetz“ werden.

Änderungsvorschlag

Die geplante Ausweitung der Fusionskontrolle krankt letztlich daran, dass kein sinnvolles Abgrenzungskriterium gewählt wird, um gerade Transaktionen mit starkem Innovations- und Inlandsbezug herauszufiltern. Der Gesetzesentwurf sollte daher in diesem Punkt angepasst werden. Sinnvoll ist eine neue Aufgreifschwelle des Transaktionswerts nur, wenn ein hoher Kaufpreis gerade für die aktuellen oder künftigen Geschäftsaktivitäten des Zielunternehmens in Deutschland gezahlt wird. Mit einer etwas anders gelagerten Definition der Gegenleistung ließe sich das ohne weiteres gesetzlich regeln. Das zeigt die US-amerikanische Praxis.

Weitere geplante Änderungen

In der Fusionskontrolle soll die Anwendung der Bagatellmarktklausel des § 36 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 GWB auf unentgeltliche Märkte ausgeschlossen werden. Zudem soll in § 37 GWB klargestellt werden, dass ein Zusammenschluss auch bei einem Kontroll- oder Vermögenserwerb an einem Unternehmen gilt, das bislang noch keine Umsatzerlöse erzielt hat. Schließlich kann das Bundeskartellamt künftig von jedem an einem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen zusätzliche Auskünfte zu dessen Tätigkeit in Deutschland verlangen.

Bei Fragen zum Thema, kontaktieren Sie bitte: Christoph Heinrich

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