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Im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer führen zum mitbestimmten Aufsichtsrat

Landgericht Frankfurt am Main vom 16. Februar 2015 – 3-16 O 1/14

Sachverhalt:

Die Deutsche Börse AG beschäftigte Ende 2013 insgesamt 3.811 Arbeitnehmer, davon in Deutschland 1.624, im europäischen Ausland 1.747 und im außereuropäischen Ausland 440. Es wurde das Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG) angewendet, da Rechtsform die AG ist, die Deutsche Börse AG im Inland sitzt und regelmäßig zwischen 500 und 2.000 Arbeitnehmer im Inland beschäftigt werden. Der nach der Satzung aus 18 Mitgliedern zusammenzusetzende mitbestimmte Aufsichtsrat besteht gemäß den anwendbaren Regelungen des DrittelbG aus zwölf Vertretern der Anteilseigner und sechs Vertretern der Arbeitnehmer. Im Rahmen eines Statusverfahrens gemäß § 98 Aktiengesetz machte ein Aktionär geltend, dass der Aufsichtsrat der Deutsche Börse AG falsch zusammengesetzt sei.



Die Entscheidung:

Das Landgericht Frankfurt am Main entschied, dass der Aufsichtsrat falsch zusammengesetzt sei. Es seien nicht nur die 1.624 Arbeitnehmer in Deutschland, sondern – zumindest – auch die 1.747 beschäftigten Arbeitnehmer in Betrieben oder Konzern­gesellschaften im europäischen Ausland zu berücksichtigen. Im Sinne der Mitbestimmungsgesetze beschäftige die Deutsche Börse AG im In- und europäischen Ausland damit zumindest 3.371 Arbeitnehmer. Bei einer regelmäßigen Beschäftigung der Deutsche Börse AG von über 2.000 Arbeitnehmern sei nicht das DrittelbG, sondern das Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) anwendbar. Das Landgericht Frankfurt am Main hat folgerichtig entschieden, dass dann der mitbestimmte Aufsichtsrat der Deutsche Börse AG aufgrund der Unternehmensgröße mit in der Regel nicht mehr als 10.000 Arbeitnehmern (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MitbestG) aus zwölf Mitgliedern, je sechs Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner und der Arbeitnehmer zu besetzen sei.



Konsequenzen für die Praxis:

Diese Entscheidung hätte – soweit sie rechtskräftig wird – erhebliche Auswirkungen auf Unternehmen, in denen die Verhältnisse ähnlich liegen. Arbeitnehmer der ausländischen Tochtergesellschaften und der im Ausland gelegenen Betriebe müssten mit sofortiger Wirkung bei den Schwellen­werten berücksichtigt werden. Bisher mitbestimmungsfreie Unternehmen mit in der Regel unter 500 beschäftigten Arbeit­nehmern in Deutschland können vom einen Tag auf den anderen vom Geltungsbereich des DrittelbG oder des MitbestG erfasst sein. Unternehmen, die derzeit zwischen 500 und 2.000 Arbeitnehmer beschäftigen, könnten ab sofort der paritätischen Mitbestimmung nach dem MitbestG unterliegen. Bisherige Strategien, die einen vom Territorialitätsprinzip abhängigen Auslandsbezug aufweisen, könnten nicht mehr greifen. Auch in diesen Fällen könnten schlagartig die Voraussetzungen der in der Praxis oft unbeliebten unternehmerischen Mitbestimmung vorliegen. Über Unternehmen mit einem solchen Auslandsbezug könnte eine Flut von Statusverfahren zur Klärung von Streitigkeiten über die anwendbaren gesetzlichen Vorschriften hinsichtlich der Bildung und Zusammensetzung des (mitbestimmten) Aufsichtsrats hereinbrechen.



Praxistipp:

Die Entscheidung zwingt alle in Deutschland und zugleich im Ausland tätigen Unternehmen und Konzerne zum Handeln. Eine Vielzahl der Strategien zur Umgehung der unternehmerischen Mitbestimmung in Unternehmen und Konzernen, insbesondere Strategien mit Auslandsbezug, müssten überprüft und gegebenenfalls geändert werden. Es gibt jedoch zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten mit einem auf das jeweilige Unternehmen bzw. auf den jeweiligen Konzern maßgeschneiderten Konzept – auch unter Berücksichtigung der Arbeitnehmer ausländischer Tochtergesellschaften – , um die unternehmerische Mitbestimmung zu ver­meiden bzw. einzuschränken.

Bei Fragen zu diesem Thema kontaktieren Sie bitte: Dr. Erik Schmid

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Aktuelles Arbeitsrecht Landgericht Aufsichtsrat Deutsche Börse Drittelbeteiligungsgesetz

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