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Eignungskriterien und Eigenerklärungen − neue Anforderungen und neue Fehlerquellen bei der Eignungsprüfung

Zu den bislang weniger beachteten Neuerungen der Vergaberechtsreform 2016 gehören die Anforderungen an die Ausgestaltung von Eignungskriterien und Eignungsnachweisen. Die vergaberechtliche Bedeutung dieser Thematik hat der Bundesgesetzgeber dadurch unterstrichen, dass zentrale Grundsätze im GWB normiert wurden (§§ 122 ff. GWB). Einzelheiten wurden in den §§ 6 - 6f EU VOB/A, 42 - 51 VgV, 21 - 28 VSVgV weitgehend übereinstimmend geregelt. Größere Spielräume bestehen bei Konzessionsvergaben (§ 25 KonzVgV), Vergaben in den Sektoren (§ 46 SektVO) sowie bei Unterschwellenvergaben. Inhaltlich gehen die vergaberechtlichen Anforderungen bei EU-Vergaben teilweise über den früheren Rechtszustand hinaus und sind daher mögliche Fehlerquellen. Die Rechtsprechung beginnt sich dieser Thematik anzunehmen. Eine instruktive Entscheidung zur Ausgestaltung der Eignungsprüfung und zur Überprüfung von Eigenerklärungen hat die VK Südbayern am 16. Oktober 2017 getroffen. Die Entscheidung ist bestandskräftig.

Der rechtliche Rahmen

Die Eignung ist aufgrund der vom Auftraggeber für den konkreten Auftrag festgelegten Eignungskriterien zu prüfen; bei den Verfahren mit Teilnahmewettbewerb in Form einer vorgelagerten Eignungsprüfung. Welche Eignungskriterien der Auftraggeber aufstellt, liegt in seinem Ermessen. Er muss sich allerdings an die vorgegebenen Eignungskategorien Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung, wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit sowie technische und berufliche Leistungsfähigkeit halten (§ 122 Abs. 2 S. 2 GWB) und die dafür jeweils normierten Beschränkungen beachten (z. B. §§ 44, 45 VgV). Die Eignungskriterien müssen überdies zu dem Auftragsgegenstand in einem angemessenen Verhältnis stehen (§ 122 Abs. 4 GWB) und ihrerseits hinreichend bestimmt und überprüfbar sein. Zum Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit dürfen bei EU-Vergaben nur bestimmte Nachweise gefordert werden (z. B. §§ 46 Abs. 3 VgV, 6a EU Nr. 3 VOB/A). Die geforderten Eignungsnachweise dürfen nicht diskriminierend sein und nicht gänzlich unerfüllbar oder unzumutbar sein.

Der Fall

Ausgeschrieben waren Mediadienstleistungen im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb. Ein Bewerber hatte mit dem Teilnahmeantrag eine Eigenerklärung abzugeben, wonach er als Mediaagentur ein „jährliches Umsatzvolumen von EUR 100 Mio. erzielt (A-Kriterium)“, wobei „A-Kriterium“ für „Ausschluss-Kriterium“ stand. Im Teilnahmewettbewerb stellte der Auftraggeber auf eine Bieteranfrage hin klar, dass mit dem „jährlichen Umsatzvolumen“ das „Billingvolumen“ gemeint war, das die Mediaagentur verwaltet bzw. als Schaltvolumen in den Medien platziert. Nach Durchführung der Angebotswertung und Vorinformation rügte ein Bieter, dass die Erstplatzierte als vergleichsweise kleine Mediaagentur ein derartiges „Billingvolumen“ nicht erreichen könne und berief sich auf nicht näher benannte oder belegte „Marktkenntnisse“. Auf Aufforderung des Auftraggebers erläuterte der Erstplatzierte das ihm zuzurechnende „Billingvolumen“ durch Angabe der Billingvolumina seiner Werbekunden in rechnerisch schlüssiger Weise, woraufhin der Auftraggeber die Rüge zurückwies. Daraufhin stellte der rügende Bieter einen Nachprüfungsantrag.

Die Entscheidung (VK Südbayern, Beschluss vom 16.10.2017, Z3-3-3194-1-30-06/17)

Die VK Südbayern gab dem Nachprüfungsantrag im Wesentlichen statt. Für die Vergabekammer war im Ausgangspunkt für markterfahrene Bieter erkennbar, dass der Begriff des „Billingvolumens“ unklar war und uneinheitlich verstanden werden konnte. Da dies nicht gerügt worden war, war das Kriterium jedoch anzuwenden und der unklare Begriff zu Gunsten der Bieter weit auszulegen. Umfasst waren nach Ansicht der Vergabekammer alle Billingvolumina, bei denen der Bieter das Verwalten und Platzieren übernommen hatte. Der Auftraggeber habe allerdings im vorliegenden Verfahren im Rahmen seiner Aufklärungsmaßnahmen nach § 15 Abs. 3 VgV nicht hinreichend aufgeklärt, welches Billingvolumen nach dieser Definition welcher Mediaagentur „konkret“ zuzuordnen war. Er müsse in Bezug auf alle vom Erstplatzierten für seine Eignung herangezogenen Billingvolumina „zweifelsfrei“ beurteilen können, ob diese zugerechnet werden können oder nicht und müsse diese Prüfung dokumentieren.

Praxishinweise

Konsequenzen für Auftraggeber Ein Auftraggeber kann sich grundsätzlich auf die inhaltliche Richtigkeit von Eigenerklärungen der Bieter verlassen. Eine vergaberechtliche Verpflichtung zur Aufklärung des Inhalts von Eigenerklärungen entsteht nur bei konkretem Anlass. Die Aufklärungsmaßnahmen sind dann auf das im Vergabeverfahren Leistbare und Zumutbare beschränkt, da in Bezug auf die Verfahrensführung der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gilt. Regelmäßig beschränken sich die Vergabestellen daher auf den inhaltlichen Nachvollzug der Eigenerklärung, auf Nachfragen beim Bieter und den Abgleich mit Erkenntnissen ihrer jeweiligen Fachabteilungen, stellen aber aus Zeit- und Kapazitätsgründen keine zusätzlichen eigenen Ermittlungen an oder holen gar externe Gutachten ein. Das kann dann zu vergaberechtlichen Risiken führen, wenn das Eignungskriterium (im vorliegenden Fall „Billingvolumen“) unklar gefasst ist, dies erst in einem Nachprüfungsverfahren zutage tritt und die Vergabekammer dann Prüfungsanforderungen aufstellt, mit denen der Auftraggeber nicht rechnen konnte und die er nicht erfüllt hat, da er die Auslegung der Vergabekammer nicht antizipieren konnte. Bereits bei der Fassung der Eignungskriterien muss daher ihre Überprüfbarkeit in den Blick genommen werden. Will der Auftraggeber Verfahrensrisiken vermeiden, so sollte er sich auch zur wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit auf die in den Vergabe- und Vertragsordnungen normierten Eignungskriterien und -nachweise beschränken (z. B. einen bestimmten Mindestjahresumsatz i. S. v. § 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VgV und die in Abs. 4 Nr. 4 geregelte Erklärung über den Gesamtumsatz) und bei der Definition etwaiger weiterer Kriterien kritische Maßstäbe anlegen.

Eignungskriterien und -nachweise sind grundsätzlich bereits in der Auftragsbekanntmachung anzugeben. Die überwiegende Ansicht lässt es zwar zu, dass auf die „Eignungskriterien gemäß Auftragsunterlagen“ mittels Verlinkung verwiesen wird (so auch die VK Südbayern, u. a. mit dem Argument, dass dies in dem EU-Standardformular so vorgesehen ist). Dies entspricht aber an sich nicht dem Wortlaut der § 122 Abs. 4 S. 2 GWB, § 48 Abs. 1 VgV und ist daher mit Rechtsunsicherheiten verbunden. Der Auftraggeber muss nachweisen, dass die Bieter die Eignungskriterien zur Kenntnis nehmen konnten. Das kann insbesondere dann Schwierigkeiten aufwerfen, wenn sich in elektronischen Vergabesystemen nicht mehr zweifelsfrei nachvollziehen lässt, ob ein Bieter Erläuterungen des Auftraggebers zur Kenntnis genommen hat (so im vorliegenden Fall; allerdings bestätigten die beteiligten Bieter die volle und rechtzeitige Kenntnisnahme).

Konsequenzen für Bieter Bieter sollten im eigenen Interesse auf eine klare Fassung der Eignungskriterien durch Bieterfragen oder ggfs. Rügen hinwirken, da sonst nicht absehbar ist, zu welchen Auslegungsergebnissen eine Vergabekammer in einem Nachprüfungsverfahren gelangt. Nimmt der Auftraggeber die Kritik der Vergabekammer zum Anlass für die Aufhebung des Vergabeverfahrens, ist für den Bieter, der eigentlich den Zuschlag begehrt, letztlich nichts gewonnen. Das gilt insbesondere bei solchen Eignungskriterien, die im angesprochenen Marktsegment unterschiedlich verstanden werden (können).

Wenn Sie Fragen zu diesem Thema haben, kontakieren Sie bitte Herrn Dr. Stephen Lampert.

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