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Die Bestimmung der ersten Tätigkeitsstätte im Fokus der Rechtsprechung – wenn der Arbeitsort im Arbeitsvertrag steuerlich ungünstige Folgen auslöst

FG Hamburg, Urteil vom 13. Oktober 2016, 6 K 20/16

Hintergrund

Mit dem Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom 20. Februar 2013 (BGBl. I 2013, 285) wurde das steuerliche Reisekostenrecht umfassend reformiert. Insbesondere wurde die regelmäßige Arbeitsstätte durch die erste Tätigkeitsstätte ersetzt. Nunmehr rückte die Bestimmung eben dieser ersten Tätigkeitsstätte erstmals in den Fokus der finanzgerichtlichen Rechtsprechung.

Entscheidungssachverhalt

Die Klägerin war seit 2007 als Flugzeugführerin angestellt. Im Arbeitsvertrag wurde die Klägerin zunächst einem Flughafen zugewiesen, sollte vereinzelt aber auch an anderen Flughäfen tätig werden. Zwischenzeitlich fanden Versetzungen statt. Vor dem Streitjahr 2014 wurde sie mit Versetzungsschreiben an den Flughafen zurückversetzt, der im Arbeitsvertrag bestimmt war.

In ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2014 machte die Klägerin die Fahrtkosten zwischen ihrer Wohnung und dem Flughafen als Reisekosten in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen gemäß § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4a EStG geltend.

Das Finanzamt setzte indes für diese Wege lediglich die Entfernungspauschale nach § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG an mit der Begründung, dass es sich bei dem Flughafen um die erste Tätigkeitsstätte im Sinne von § 9 Abs. 4 EStG handele.

Der hiergegen gerichtete Einspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg. Nach Ansicht des Finanzamtes handele es sich um eine erste Tätigkeitsstätte, da die Klägerin einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers dauerhaft zugeordnet worden sei. Die Festlegung des Arbeitsortes im Arbeitsvertrag sei eine – mit der letzten Versetzung übereinstimmende – eindeutige arbeitsrechtliche Zuordnung zu einer ersten Tätigkeitsstätte durch den Arbeitgeber im Sinne des § 9 Abs. 4 S. 2 EStG. In Ermangelung abweichender Zuordnungsbestimmungen sei die Zuordnung durch den Arbeitgeber für diese Festlegung der ersten Tätigkeitsstätte maßgeblich.

Gegen die ablehnende Einspruchsentscheidung erhob die Klägerin Klage vor dem FG.

Der Arbeitsort im Arbeitsvertrag sei nicht als erste Tätigkeitsstätte zu werten. Vor der Reform des steuerlichen Reisekostenrechts habe keine regelmäßige Arbeitsstätte vorgelegen. Der Schwerpunkt der Tätigkeit sei auf dem Fahrzeug – mithin dem Flugzeug – gelegen, sodass eine Zuordnung zu einer Tätigkeitsstätte aufgrund qualitativer Erwägungen nicht erfolgen dürfe. Die bloße Änderung der Begrifflichkeit „regelmäßige Arbeitsstätte” hin zu „erster Tätigkeitsstätte” dürfe an dieser Sichtweise nichts ändern.

Auch sei die Klägerin dem Flughafen nicht dauerhaft zugeordnet worden. Der Ort im Arbeitsvertrag habe lediglich organisatorischen Charakter, da aufgrund geltender Bestimmungen eine Zuordnung durch den Arbeitgeber stattfinden müsse.

Der Arbeitgeber der Klägerin habe aus ihrer Sicht weder die Möglichkeit einer Negativzuordnung noch einer anderweitigen Zuordnungsentscheidung gehabt.

Des Weiteren habe man im Jahr 2007 eine Festlegung auf eine erste Tätigkeitsstätte durch die arbeitsvertragliche Regelung nicht absehen können, da es eine solche zu dem Zeitpunkt noch gar nicht gab.

Dennoch sei die erste Tätigkeitsstätte aufgrund quantitativer und mithin qualitativer Kriterien zu ermitteln. In Ermangelung eines Schwerpunktes am Flughafen seien folglich eine erste Tätigkeitsstätte zu verneinen und demnach für die Fahrkosten die tatsächlichen Aufwendungen anzuerkennen.

Entscheidung des FG

Das FG bestätigte die Auffassung des Finanzamtes. Die Klägerin habe eine erste Tätigkeitsstätte an dem Flughafen laut Arbeitsvertrag. Sie sei dieser durch den Arbeitgeber dauerhaft zugeordnet worden, sodass sämtliche Tatbestandsmerkmale des § 9 Abs. 4 S. 1 EStG erfüllt seien.

Auch das Argument, dass eine etwaige Zuordnungsentscheidung vor Inkrafttreten der Reisekostenreform getroffen wurde, gehe ins Leere. Einerseits habe der Arbeitgeber bis zum 1. Januar 2014 abweichende Zuordnungsentscheidungen treffen können, andererseits sei der im Arbeitsvertrag vereinbarte Arbeitsort regelmäßig und auch ohne einen entsprechenden Willen des Arbeitgebers als eine Zuordnungsentscheidung zu beurteilen, die eine erste Tätigkeitstätte begründet.

Für die Anwendung der Bestimmung sei es ebenfalls nicht erforderlich, dass dem Arbeitgeber die steuerliche Auswirkung der Zuordnung bewusst ist. Der arbeitsvertraglich zugewiesene Arbeitsort sei per se die erste Tätigkeitsstätte, wenn keine anderslautende Vereinbarung getroffen wird.

Fazit und Folgen für die Praxis

Die Klägerin hat Revision gegen das Urteil eingelegt (BFH VI R 40/16). Bis zu einer Entscheidung des BFH dürfte indes viel Zeit vergehen.

Das Urteil des FG bestätigt jedenfalls derzeit die strenge Auslegung der Finanzverwaltung hinsichtlich der Zuordnung von Arbeitnehmern zu einer ersten Tätigkeitsstätte. Unabhängig eines quantitativen und qualitativen Schwerpunktes außerhalb einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung löst der Arbeitsort im Arbeitsvertrag in Ermangelung anderweitiger Regelungen die Zuordnung zu einer ersten Tätigkeitsstätte aus. Würde indes auf eine solche Zuordnung bewusst verzichtet oder diese anderweitig ausgestaltet, wäre eine erste Tätigkeitsstätte neben der zeitlichen Komponente insbesondere an der schwerpunktmäßigen Tätigkeit des Arbeitnehmers bemessen. Abschließend bleibt festzuhalten, dass der Arbeitsort im Arbeitsvertrag grundsätzlich steuerlich günstige Regelungen für bestimmte Arbeitnehmergruppen per se verhindern kann.

Das Urteil zeigt erneut den möglichen Handlungsbedarf bei Arbeitgebern auf. Arbeitnehmer, die aufgrund des qualitativen Schwerpunktes bis zum 31. Dezember 2013 keine „regelmäßige Arbeitsstätte” innehatten, müssen nach der Reisekostenreform ebenfalls keine „erste Tätigkeitsstätte” haben. Hierfür bedarf es aber unter Umständen abweichender Zuordnungsentscheidungen bzw. Anpassungen der derzeitigen Regelungen. Der Arbeitsort im Arbeitsvertrag birgt jedenfalls ein hohes Risiko für die derzeitige Reisekostenerstattungspraxis in einer Vielzahl von Unternehmen.

Wenn Sie Fragen zu diesem Thema haben, wenden Sie sich bitte an Herrn Daniel Hermes.

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