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Brüssel – „Wohnort im Sumpf“?

Der Schwerpunkt „Europäisches und Internationales Recht“ aus dem universitären Studium lag zwar schon längere Zeit hinter mir, aber durch meine Stelle als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an einem Lehrstuhl für Europarecht blieb ich diesem Rechtsgebiet auch während des Referendariats eng verbunden. Insofern lag der Gedanke nahe, das Europarecht endlich einmal in der Praxis anzuwenden. Dafür wollte ich meine Anwaltsstation nutzen.

Die Planung

Eine Stellenausschreibung für Referendare am schwarzen Brett der Uni weckte mein Interesse für Beiten Burkhardt. Eine Internetrecherche ergab, dass das Brüsseler Büro von Beiten Burkhardt aus einem kleinen Team bestand. Perfekt! Genau das, was ich wollte. Davon versprach ich mir eine gute Betreuung und eine enge Mandatsanbindung, ohne das Gefühl zu haben, nur ein unbedeutendes Rädchen im Getriebe zu sein. Das Bewerbungsverfahren verlief ohne zeitliche Verzögerungen. Nach Einreichung der schriftlichen Unterlagen erfolgte nur wenig später ein Telefoninterview mit dem Partner im Brüsseler Büro von Beiten Burkhardt, Dr. Dietmar Reich, der unlängst vom Spiegel als „Doyen der EU-Interessenvertretung“ betitelt wurde.

Auf ins Schlaraffenland

Die Anreise mit der Bahn aus dem Norden Deutschlands gestaltete sich trotz einer erheblichen Anzahl an Gepäckstücken problemlos. Von Hamburg ging es zunächst nach Köln und dann weiter mit dem Thalys bis Brüssel-Midi. Wenn man in Fahrtrichtung rechts sitzt, wird man vom Abteil aus bei der Einfahrt in Brüssel vom Wahrzeichen der Stadt, dem Atomium, begrüßt. Die Suche nach einer preiswerten Unterkunft verlief dagegen mühseliger, insbesondere da die vielen Stagiaires, die jedes Jahr nach Brüssel strömen, um bei den Europäischen Institutionen, Unternehmen, Verbänden, Kanzleien und Landesvertretungen ein Praktikum zu absolvieren, zu überteuerten Zimmerpreisen führen. Mithilfe einer von der Kanzlei geführten Liste von passablen Vermietern fand ich aber ein Privatzimmer zur Untermiete bei einer netten Familie im lebendigen Quartier St. Gilles, welches durch seine schönen Jugendstilhäuser, netten Bars, Märkte und Kaffees ein gemütliches Flair ausstrahlt.

Beim ersten Spaziergang durch die Stadt fällt schnell auf: Die Brüsseler gehen gerne aus und sie lieben ihre Küche, die sich durchaus mit der französischen Küche messen lassen kann und wahrscheinlich aufgrund der vielen internationalen Einflüsse noch vielfältiger ist. Die Zahl von 1800 bis 2000 Restaurants auf 161 km² Stadtfläche spricht Bände. Aber auch die Straßenimbisse lassen sich sehen. Eine typische Brüsseler Trottoirspezialität sind Meeresschnecken in scharfer Selleriebouillon. Ein Muss! Fast Food für Gourmets. Die Verkäuferinnen mit ihren Karren und den großen Gartöpfen findet man oft auf den Wochenmärkten oder den unzähligen Flohmärkten. Wer es etwas bodenständiger mag, dem sind die belgischen Pommes der kultigen Verkaufsbuden „Maison Antoine“ und „Frit Flagey“ ans Herz zu legen, vor denen sich meterlange Schlangen bilden.

Die Stadt: Brussel (niederländisch), Bruxelles (französisch)

Der Name „Brüssel“ setzt sich aus den Wortbestandteilen „bruk“ und „sella“ zusammen, wie dies an der französischen Namensform „Bruxelles“ noch deutlich wird. Die beiden Namensbestandteile bedeuten u. a. nach dem altniederländischen bruoc „Sumpf“ und sella „Sitz“ oder „Wohnort“. Der Stadtname kann also mit „Wohnort im Sumpf“ übersetzt werden. Die Brüsseler Flagge bildet – insofern passend – die Iris, eine gelbe Sumpfblume ab, welche als Friedenssymbol und Heilpflanze gilt, und nicht auf den Sumpf und Morast der politischen Machenschaften in der EU-Metropole anspielt.

Mit etwa einer Million Einwohnern ist Brüssel recht klein, aber dafür prägen in Brüssel rund 180 Nationalitäten aus allen Kontinenten das bunte Stadtbild: Einwanderer aus den ehemaligen Kolonien, Asylsuchende, Gastarbeiter und tausende EU-Funktionäre – eine Mischung, die polarisiert und auf engem Raum zusammentrifft. Der aufgrund der EU-Erweiterungen stetig steigende Platzbedarf der Europäischen Institutionen entfacht dabei immer wieder neuen städtebaulichen Zündstoff. Allein die Europäische Kommission belegt in Brüssel über 60 Gebäude mit einer Fläche von ca. 1,4 km². Verwaltungstechnisch ist Brüssel schwer zu durchschauen. Die zweisprachige Hauptstadtregion Brüssel besteht aus insgesamt 19 Gemeinden, die wiederum 19 Bürgermeister hervorbringen. Es fehlt an einer übergeordneten Stadtplanung. Lediglich die Organisation von Feuerwehr und Notdiensten erledigen die Gemeinden gemeinsam. Die Müllabfuhr beispielsweise fällt unter die Regie der jeweiligen Gemeinde. So ist es nicht verwunderlich, dass mir bei meiner Ankunft insbesondere zwei Sachen ins Auge gesprungen sind: Erstens die bunten Müllbeutel, die sich vor jedem Hauseingang stapelten, und zweitens der überaus schlechte Zustand der Straßen und Gehwege. Auf dem Weg in die Kanzlei ist daher unbedingt auf festes Schuhwerk zu achten. Die Brüsseler selbst bezeichnen diese Strukturen achselzuckend als brol. Ein umgangssprachlicher Ausdruck für ein riesiges Durcheinander.

Die Kanzlei: Mittendrin statt nur dabei

Meine eingangs erwähnten Erwartungen an die Kanzlei wurden vollends erfüllt. Vom ersten Tag an hatte ich das Gefühl, dazuzugehören, ohne sprichwörtlich ins kalte Wasser geworfen zu werden. Die Anwälte nehmen sich sehr viel Zeit, um die Aufgaben zu erklären, geben Feedback und erläutern die Hintergründe eines Mandantenbegehrens. Aber auch das gesellige Zusammensein kommt nicht zu kurz: gemeinsames Bowlen, Sommerfeste am Meer und gelegentliche kulinarische Highlights (siehe oben) versüßen den Büroalltag.

Thematisch können alle Fragestellungen auf einen Referendar zukommen, die sich aus einer Tätigkeit des Mandanten in der Europäischen Union ergeben. Dazu gehört hauptsächlich das europäische Wettbewerbsrecht, also das Kartellrecht (Art. 101–105 AEUV), das Recht der Staatlichen Beihilfen (Art. 107–109 AEUV), das Recht öffentlicher Unternehmen (Art. 106 AEUV) sowie das Vergaberecht und die Fusionskontrolle, welche sich im Wesentlichen auf europäisches Sekundärrecht stützen. Darüber hinaus besteht ein Tätigkeitsschwerpunkt im Bereich Anti-Dumping. Das Anti-Dumping-Recht ist vor dem Hintergrund der Liberalisierung des Welthandels und der damit einhergehenden Öffnung der Märkte für ausländische Produkte zu sehen. Durch den stärkeren Wettbewerb sieht sich die Industrie in der Europäischen Union oftmals mit unfairen Handelspraktiken von ausländischen Wettbewerbern konfrontiert, die den Wunsch nach Schutzmaßnahmen laut werden lassen. Auf Unionsebene ist die Anti-Dumping-Politik gemäß Art. 207 AEUV ein Instrument der Gemeinsamen Handelspolitik geworden, die allerdings im Lichte des Regelwerks der Welthandelsorganisation ausgelegt werden muss. Nationales Anti-Dumping-Recht gibt es nicht mehr. Als Schutzmaßnahme kann der Rat der Europäischen Union einen Anti-Dumping-Zoll beschließen. Voraussetzung hierfür ist, dass Waren in die Europäische Union eingeführt werden, deren Ausfuhrpreise Dumpingpreise – umgangssprachlich „Schleuderpreise“ – sind.

In der Kanzlei kommt man mit diesem Rechtsgebiet von zweierlei Seiten in Berührung. Zum einen kommt es vor, dass die Mandanten den Erlass von Anti-Dumping-Zöllen beispielsweise auf eingeführte Fahrräder aus China wünschen, da diese Einfuhren die eigene Industrie schädigen, oder aber die Mandanten begehren die Aufhebung der ihnen auferlegten Zölle. Zum anderen ist das Brüsseler Büro von Beiten Burkhardt unter der Regie von Dr. Rainer Bierwagen, auch „Council’s assistant“, d. h. Beiten Burkhardt unterstützt den Rat in Verfahren, in denen die Rechtmäßigkeit eines verhängten Anti-Dumping-Zolls vor den Europäischen Gerichten überprüft wird.

Die Arbeit bei Beiten Burkhardt bietet somit die Gelegenheit, Einblicke in die Arbeitsprozesse der Europäischen Institutionen zu gewinnen, bei Meetings mit Kommissionsbeamten zugegen zu sein und Kenntnisse über verschiedene Branchen wie die Automobil-, Stahl-, Chemie-, Pharma- und Lebensmittelindustrie zu sammeln.

Die Arbeitssprache in der Kanzlei ist vor diesem Hintergrund hauptsächlich Englisch (ca. 60 %) gefolgt von Deutsch (ca. 30 %) und Französisch (ca. 10 %).

Freizeit: Streifzüge durch die Stadt

In der Freizeit sind Streifzüge durch die Stadt zu empfehlen. Von April bis November ist fast jedes Wochenende etwas los: Flohmärkte, Straßenfeste und Musikfestivals prägen dann das Stadtbild. Wenn der Grand Place, einer der schönsten Plätze Europas und 1998 in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen, zur Bühne umgebaut wird, ist die Stimmung nicht mehr zu toppen.

Und wer Brüssel einmal entkommen will, der findet sich dank Thalys oder EuroStar in knapp zwei Stunden in London oder Paris wieder.

Fazit: I’ll be back

Ein halbes Jahr nach meinem letzten Brüssel-Aufenthalt hieß es erneut: „Tschüss Hamburg, Bonjour Brüssel“. Für meine Wahlstation bin ich wieder ins Brüsseler Büro von Beiten Burkhardt zurückgekehrt.

Zuerst veröffentlicht im Richard Boorberg Verlag

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