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Vergabereife setzt das Vorliegen aller tatsächlichen und rechtlichen Anforderungen an den Beginn der Leistungsausführung voraus

Ein öffentlicher Auftraggeber hat dafür Sorge zu tragen, dass ein Auftrag zu Beginn eines Vergabeverfahrens ausschreibungsreif ist, weil er mit Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung stets an den Inhalt des Auftrags gebunden und eine Aufhebung des Vergabeverfahrens nur unter engen Voraussetzungen zulässig ist. Der Auftraggeber soll daher erst dann ausschreiben, wenn alle Vergabeunterlagen fertig gestellt sind und wenn innerhalb der angegebenen Fristen mit der Ausführung begonnen werden kann (vgl. § 2 Abs. 5, § 2 EU Abs. 8 VOB/A). Obgleich es sich dem Wortlaut nach um Soll-Vorschriften handelt, sind diese Normen bieterschützend und können bei Missachtung zu erheblichen finanziellen Nachteilen für den Auftraggeber in Form von Schadensersatzansprüchen führen.

Mit der Frage, ab wann Vergabereife bei Bauvorhaben besteht, deren Planfeststellungsbeschluss gerichtlich angegriffen wurde, musste sich die Vergabekammer des Bundes in ihrer Entscheidung vom 12. März 2019 (VK 1-7/19) auseinandersetzen.

Sachverhalt

Die Antragsgegnerin, eine Behörde der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes, führt ein nicht offenes Verfahren mit Teilnahmewettbewerb zur Vergabe des Bauauftrags „Fahrrinnenanpassung“ durch. Dem Vorhaben liegt ein länger andauerndes Planfeststellungsverfahren zugrunde. Der inzwischen ergangene dritte Planergänzungsbeschluss ist seit August 2018 sofort vollziehbar. Ein Antrag auf aufschiebende Wirkung der Klage zweier Umweltverbände vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde nicht gestellt.

Alleiniges Zuschlagskriterium ist nach der Bekanntmachung der Preis. Gegenstand des Rechtsstreits war das Los 2 der Ausschreibung, welches die Nassausbaggerung von rund 30 Millionen Kubikmetern Material vorsieht.

Die Antragstellerin gab ein Angebot für Los 2 ab. Mit Schreiben vom 18. Januar 2019 wurde der Antragstellerin mitgeteilt, dass ihr Angebot nicht berücksichtigt werden könne, da sie nicht die
in den Vergabeunterlagen geforderten Bedingungen erfüllt. Die Antragstellerin rügte daraufhin das Verhalten der Antragsgegnerin als vergaberechtswidrig und machte unter anderem geltend, dass für das streitige Vergabeverfahren keine Vergabereife bestehe, weil der Planfeststellungsbeschluss gerichtlich angegriffen werde.

Entscheidung

Die Vergabekammer des Bundes ist in ihrem Beschluss vom 12. März 2019 (VK 1-7/19) diesem Vorbringen nicht gefolgt. Der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin wegen einer unzulässigen Änderung an den Vergabeunterlagen sei rechtmäßig, weil im Angebot nach den Feststellungen der Kammer von bestimmten planungsrechtlichen Einschränkungen abgewichen worden sei. Der Ausschluss scheide auch nicht deswegen aus, weil die Ausschreibungsunterlagen ihrerseits vergaberechtswidrig seien. Das Vergabeverfahren leide insoweit nicht an einem schwerwiegenden Mangel.

Nach § 2 EU Abs. 8 VOB/A soll der öffentliche Auftraggeber erst dann ausschreiben, wenn alle Vergabeunterlagen fertig gestellt sind und wenn innerhalb der angegebenen Fristen mit der Ausführung begonnen werden kann. Voraussetzung der Ausschreibungsreife ist laut VK Bund daher, dass die rechtlichen und tatsächlichen Anforderungen an den Beginn der Leistungsausführung gegeben sind. Der Auftraggeber müsse vor der Ausschreibung alle rechtlichen – privat- oder öffentlich-rechtlichen – Voraussetzungen dafür schaffen, dass mit den ausgeschriebenen Leistungen innerhalb der in den Vergabeunterlagen angegebenen Fristen begonnen werden kann. Bieter dürften der VK Bund zufolge darauf vertrauen, dass der Auftraggeber das Vergabeverfahren zulässigerweise mit einem Zuschlag beenden kann und wird. Lägen die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen dafür, dass die ausgeschriebene Leistung fristgemäß aufgenommen werden kann, gerade nicht vor, könne der öffentliche Auftraggeber keine Zuschlagserteilung gewährleisten.

Im vorliegenden Fall kam die VK Bund trotz anhängiger Klage gegen den zugrundeliegenden Planfeststellungsbeschluss zu dem Ergebnis, dass die Vergabereife für die streitige Ausschreibung
gegeben ist. Der Auftraggeber habe sich bei der Ausschreibung auf die Planfeststellung vom April 2012 gestützt, welche mit dem dritten Planergänzungsbeschluss seit August 2018 sofort vollziehbar
sei. Aufgrund der sofortigen Vollziehbarkeit habe es dem Auftraggeber zugestanden, das streitige Ausschreibungsverfahren durchzuführen. Auf etwaig eingelegte Rechtsbehelfe gegen
die Planfeststellung, über die instanzenabschließend noch nicht entschieden wurde, könne es nicht ankommen. In einem Vergabenachprüfungsverfahren dürfe es generell nicht zu einem
In-Sich-Prozess kommen, bei welchem über die Rechtmäßigkeit von Planfeststellungsentscheidungen geurteilt wird. Deren Überprüfung sei rechtlich komplex gelagert und erfordere besonderen Sachverstand, sodass eine Überprüfung den Verwaltungsgerichten
vorbehalten sei.

Der Auftraggeber habe letztlich dafür zu sorgen, dass die erforderlichen öffentlich-rechtlichen Voraussetzungen für die Durchführung des Vorhabens gegeben sind. Soweit die Ausschreibungsbedingungen von öffentlich-rechtlichen Vorgaben oder gerichtlichen Feststellungen abwichen, liege dies allein im Verantwortungsbereich des Auftraggebers, der etwaige Konsequenzen – z. B. aus hieraus entstehenden Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit – zu tragen habe. Keinesfalls müsse der Bieter eine öffentlich-rechtliche Prüfung der Vergabeunterlagen durchführen. Für den Bieter seien allein die vom Aufraggeber aufgestellten Ausschreibungsbedingungen maßgeblich.

Vorliegend nahm die VK Bund daher an, dass die öffentlich-rechtlichen Voraussetzungen des Vorhabens angesichts der sofortigen Vollziehbarkeit des Planergänzungsbeschlusses gegeben sind und somit Vergabereife bestand. Aus den gegen die Rechtmäßigkeit der Planfeststellung eingelegten Rechtsbehelfen könne der Bieter keinesfalls eine Unverbindlichkeit der Baubeschreibung des Auftraggebers ableiten.

Praxistipp

Mit ihrer Entscheidung bringt die VK Bund Klarheit in die Voraussetzungen der Vergabereife für Ausschreibungsvorhaben, insbesondere im Zusammenhang mit rechtlich umstrittenen Infrastrukturmaßnahmen.

Mit wohltuender Deutlichkeit stellt sie fest, dass In-Sich-Prozesse über Planfeststellungsbeschlüsse im Vergabenachprüfungsverfahren nichts zu suchen haben. Damit schließt die Rechtsprechung an kürzlich bekannt gewordene Entscheidungen an, wonach Rechtsfragen außerhalb des Vergaberechts von der Entscheidungskompetenz einer Vergabekammer nicht umfasst sind. So hat zuletzt das OLG Celle mit Beschluss vom 19. März 2019 (13 Verg 7/18) festgestellt, dass Vertragsklauseln im Nachprüfungsverfahren grundsätzlich nicht auf ihre zivilrechtliche Wirksamkeit hin zu prüfen sind. Alles andere widerspräche der organisationsrechtlichen Kompetenzordnung und liefe dem im Nachprüfungsverfahren geltenden Beschleunigungsgrundsatz (§ 167 GWB) zuwider. Nebenbei erlaubt die Entscheidung, auch die Leistungsphasen 5 und 6 (Ausführungsplanung und Vorbereitung der Vergabe) bei großen Infrastrukturmaßnahmen maßgeblich zu beschleunigen.

Für öffentliche Auftraggeber ist die Entscheidung folglich in der Hinsicht von Bedeutung, dass Entscheidungen über Rechtsbehelfe gegen Planfeststellungsbeschlüsse nicht abgewartet werden müssen, sofern diese für sofort vollziehbar erklärt wurden. Stützen sie die Vergabeunterlagen auf einen sofort vollziehbaren Planfeststellungsbeschluss, liegt Vergabereife vor, auch wenn noch keine instanzenabschließende Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Planungsentscheidung getroffen ist.

Nichtsdestotrotz müssen öffentliche Auftraggeber vor Auftragsbekanntmachung sicherstellen, dass die rechtlichen und tatsächlichen Anforderungen an den Beginn der Leistungsausführung gegeben sind. Zu den rechtlichen Anforderungen gehören alle privat- und öffentlich-rechtlichen Voraussetzungen der Leistungserbringung. So muss im Vorfeld geprüft werden, ob – wie hier – eine sofortige Vollziehbarkeit von Planungsentscheidungen angeordnet ist oder – in anderen Fällen – der Leistungserbringung beispielsweise Urheber- oder Patentrechte entgegenstehen. Auftraggebern bleibt also zu empfehlen, mit der Ausschreibung erst zu starten, wenn alle Vergabeunterlagen fertiggestellt und abschließend geprüft sind, und gewährleistet werden kann, dass ein Beginn der Auftragsausführung innerhalb der angegebenen Fristen rechtlich und tatsächlich möglich ist.

Bieter wiederum sind nicht gehalten, die Ausschreibungsunterlagen auf öffentlich-rechtliche Fehler außerhalb des Vergaberechts zu überprüfen. Für sie ist ohne Bedeutung, ob und inwieweit die Vergabeunterlagen den öffentlich-rechtlichen Vorschriften genügen oder ob Rechtsbehelfe gegen – sofort vollziehbare – Verwaltungsentscheidungen noch nicht instanzenabschließend entschieden wurden. Sie dürfen sich mit den Worten der VK Bund darauf verlassen, dass der Auftraggeber das Vergabeverfahren zulässigerweise mit einem Zuschlag beenden kann und wird und dass der Leistungserbringung keine öffentlich-rechtlichen Hindernisse entgegenstehen. Ist dies dennoch der Fall, teilt die VK Bund die Verantwortung klar dem öffentlichen Auftraggeber zu, sodass die Folgen eines öffentlich-rechtlichen Mangels (z. B. Nachträge, Auftragsänderungen, Aufhebung der Ausschreibung) nicht dem Bieter zu Last fallen. Die oben genannte Entscheidung des OLG Celle spricht dafür, dass dies auch im Hinblick auf privatrechtliche Mängel der Ausschreibungsunterlagen der Fall ist.

Interessant ist auch die – von der VK Bund noch offen gelassene – Fragestellung, ob in derartigen Fällen überhaupt eine von der Vergabekammer zu prüfende Rechtsverletzung im Sinne des § 97 Abs. 6 GWB gegeben ist. Ein Bieter, der die öffentlich-rechtliche Zulässigkeit einer Ausschreibung nicht zu prüfen hat, könne – so die VK Bund – auf der Grundlage der (möglicherweise öffentlich-rechtlich fraglichen) Ausschreibungsbedingungen ein Angebot abgeben und sei daher durch die Folgen eines etwaigen öffentlich-rechtlichen Mangels nicht belastet. In ähnlicher Weise führt das OLG Celle im Beschluss vom 19. März 2019 (13 Verg 7/18) aus, dass die zivilrechtliche Wirksamkeit von Vertragsklauseln nicht zu den Bestimmungen im Sinne von § 97 Abs. 6 GWB zählt. Bieter sollten daher bei außerhalb des Vergabeverfahrens liegenden Rechtsverstößen – seien sie aus dem Bereich des öffentlichen Rechts oder des Zivilrechts – vor Einreichung eines Nachprüfungsantrags immer genau prüfen, ob es eine vergaberechtliche Anknüpfungsnorm gibt, die im Nachprüfungsverfahren entscheidungsrelevant ist.

Fragen zu diesem Thema beantwortet Ihnen Christopher Theis gerne.

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Vergaberecht Vergabereife Vergabekammer Voraussetzung der Ausschreibungsreife Ausschreibungsvorhaben, Planfeststellungsbeschluss

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