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Keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung per WhatsApp

Landgericht Hamburg vom 3. September 2019 - 406 HKO 56/19

2020 steht im Zeichen der Corona-Pandemie. Vieles, was im Arbeitsrecht zuvor utopisch klang, wurde Realität: Arbeitnehmer können sich ihre Arbeitsunfähigkeit per Telefon vom Arzt bestätigen lassen. Schon 2019 wurde – ganz ohne Pandemie – ein noch weitergehender Vorstoß gewagt: Die Krankschreibung per WhatsApp. Dem hat das Landgericht Hamburg jedoch einen Riegel vorgeschoben.

Sachverhalt

Die „Dr. Ansay AU-Schein GmbH“ bot in Kooperation mit einem Arzt auf ihrer Webseite die Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen über WhatsApp an. Die Ausstellung der AU-Bescheinigung war für einen Zeitraum von maximal drei Tagen und für einfache Krankheiten wie Erkältungen vorgesehen. Der Anbieter beschrieb den Ablauf unter anderem wie folgt: „Und so geht's: Symptome schicken, Risiken ausschließen, Daten eingeben, einfach bezahlen, fertig. Das Besondere an einer Arzt-Behandlung per Telemedizin ist grundsätzlich, dass der Arzt keinen persönlichen Kontakt zu Ihnen hat.“ Gegen dieses Geschäftsmodell klagte ein Verein, dem auch die Ärztekammern in Hamburg und Schleswig-Holstein angehören.

Die Entscheidung

Das Landgericht Hamburg verurteilte den Anbieter, diese Art des Angebots zu unterlassen. Die Werbung sei unlauter, da die so angebotene Ausstellung von AU-Bescheinigungen im Wege der Ferndiagnose gegen die ärztliche und unternehmerische Sorgfalt verstoße. Nach Ansicht des Gerichts könne jedenfalls für den Normalfall auch bei leichteren Erkrankungen nicht auf den unmittelbaren persönlichen Kontakt mit dem Patienten verzichtet werden, weil zuverlässige Feststellungen zur Erkrankung ansonsten nicht möglich seien. Da Krankschreibungen auch Grundlage für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung sind, müsse sich der Arzt einen unmittelbaren Eindruck von dem Gesundheitszustand des Patienten verschaffen. Selbst eine Überprüfung der Patientenangaben durch den Arzt per Telefon oder Video-Chat hielt das Gericht nicht für ausreichend.

Konsequenzen für die Praxis

Zwar bezog sich das Urteil allein auf medizin- und wettbewerbsrechtliche Verstöße. Es steht dennoch im Einklang mit den arbeitsrechtlichen Grundsätzen zum Beweiswert von AU-Bescheinigungen. Die Annahme der Richtigkeit eines Attests kann von Arbeitgebern regelmäßig kaum widerlegt werden. Beeinträchtigt wird dieser hohe Beweiswert jedoch, wenn die Ausstellung der AU-Bescheinigung ohne persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Arbeitnehmer erfolgt. Es bleibt abzuwarten, ob das auch für telefonische Krankschreibungen gilt, die seit dem 9. März und zunächst bis zum 18. Mai 2020 für Patienten mit Atemwegserkrankungen erlaubt sind. Diese Sonderregelung ist vom Gemeinsamen Bundesausschuss im Gesundheitswesen abgesegnet, so dass den Arztpraxen, anders als dem Online-Anbieter im vorliegenden Urteil, jedenfalls keine medizinrechtlichen Konsequenzen drohen. Es wird sich zeigen, wie die Arbeitsgerichte Fälle bewerten, in denen Arbeitgeber die telefonisch erteilten AU-Bescheinigungen nicht akzeptieren. Hier fehlt es – wie auch bei der Krankschreibung per WhatsApp – am unmittelbaren persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patienten.

Praxistipp

Arbeitnehmer sollten auf eine AU-Bescheinigung per WhatsApp verzichten. Erfährt der Arbeitgeber von der fehlenden Untersuchung und zweifelt die Arbeitsunfähigkeit an, drohen arbeitsrechtliche Sanktionen und die Einstellung der Entgeltfortzahlung. Der Beweiswert des Attests ist ohne unmittelbaren Kontakt zum Arzt beeinträchtigt, so dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit nur schwer nachweisen kann. Dasselbe trifft grundsätzlich auf eine telefonische Krankschreibung während der Corona-Pandemie zu. Hierbei können sich Arbeitnehmer jedoch auf die befristete Ausnahmeregelung zur Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit berufen. Arbeitgeber, die Zweifel an der so bescheinigten Arbeitsunfähigkeit haben, dürften vor Gericht potentiell schlechtere Chancen haben. Gleichwohl kann bei begründetem Verdacht des Missbrauchs dieser Sonderregelung nicht zur stillschweigenden Akzeptanz geraten werden. Arbeitgebern bleibt in Zweifelsfällen weiter die Beantragung einer Untersuchung des Arbeitnehmers durch den MDK. Ferner können Arbeitgeber im gerichtlichen Verfahren die Argumentation des vorliegenden Urteils für sich nutzen. Es bleibt abzuwarten, ob die Arbeitsgerichte auch bei der ausnahmsweise erlaubten telefonischen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit einen Widerspruch zur ärztlichen Sorgfalt bejahen.

Julia Alexandra Schütte

Expert:innen

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Julia Alexandra Schütte

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht

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