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Das Bundeskartellamt als Verbraucherschutzbehörde?

Dass das Bundeskartellamt mit dem anglo-amerikanischen Modell einer kombinierten Wettbewerbs- und Verbraucherschutzbehörde liebäugelt, wird in der aktuellen Debatte um die 10. GWB-Novelle deutlich. Die Ausweitung behördlicher Durchsetzungsbefugnisse im wirtschaftlichen Verbraucherschutz wird derzeit rege diskutiert.

Verbraucherrechtsdurchsetzung in Deutschland

Das Verbraucherschutzniveau in Deutschland wird allgemein als hoch eingeschätzt. Der Schwerpunkt liegt allerdings auf seiner zivilrechtlichen Durchsetzung. Kaum eingesetzt werden bisher gewerberechtliche Befugnisse oder die strafrechtliche Verfolgung. Der Ruf nach stärkerer behördlicher Tätigkeit wird jedoch lauter. Als Hauptkritikpunkt an der privaten Durchsetzung werden die Erkenntnis-, Nachweis- und Kompensationsschwierigkeiten privater Kläger genannt. So ist beispielsweise die fehlende Kennzeichnung von bezahlten Anzeigen als Werbung im Internet für Verbraucher oftmals nicht erkennbar. Auch werden intransparente Geschäftsmodelle und Algorithmen als problematisch eingestuft.

Im Hinblick auf die Kompensation der betroffenen Verbraucher wird unter anderem kritisiert, dass der einzelne Verbraucher an einem Prozess zur Rückerstattung rechtswidrig eingezogener Entgelte angesichts der geringen individuellen Schäden („Streuschäden“) wenig Interesse hat. Darüber hinaus ist strittig, inwiefern die Abschöpfung von Gewinnen oder Vermögen möglich ist. Auch der im UWG grundsätzlich vorgesehene Schadensersatz für Mitbewerber ist kaum von praktischer Bedeutung, da dem geschädigten Mitbewerber die Darlegungs- und Beweislast seines Schadens dem Grunde und der Höhe nach obliegt. So müsste er beispielsweise nachweisen, dass die Irreführung des Mitbewerbers zu Vertragsschlüssen mit Verbrauchern führte, die ohne diese Irreführung mit ihm selbst kontrahiert hätten. In der privaten Rechtsdurchsetzung bleibt folglich der Unterlassungsanspruch die tragende Säule.

Kompetenzen des Bundeskartellamts im Verbraucherschutz

Um die behördliche Durchsetzung des Verbraucherrechts zu stärken, erhielt das Bundeskartellamt mit der 9. GWB-Novelle im Juni 2017 erstmalig Kompetenzen im Bereich des wirtschaftlichen Verbraucherschutzes. Es kann nun als „amicus curiae“ an Verfahren beteiligt sein. Auch kann es Sektoruntersuchungen in diesem Bereich einleiten. Voraussetzung dafür ist ein begründeter Verdacht auf erhebliche, dauerhafte oder wiederholte Verstöße gegen verbraucherschützende Vorschriften.

Erste verbraucherrechtliche Sektoruntersuchungen

Nachdem das Bundeskartellamt zusätzlich die Befugnis zu verbraucherrechtlichen Sektoruntersuchungen erhielt, machte es davon unmittelbar Gebrauch und leitete Sektoruntersuchungen zu Online-Vergleichsportalen (Oktober 2017) und Smart-TVs (Dezember 2017) sowie jüngst zu Nutzerbewertungen im Internet (Mai 2019) ein.

Jüngster Abschlussbericht der Untersuchung zu Vergleichsportalen

Im April 2019 hat das Bundeskartellamt den Abschlussbericht seiner Sektoruntersuchung zu Vergleichsportalen im Internet vorgelegt. Darin zeigt es verschiedene Missstände auf. Dazu zählen nach Ansicht des Bundeskartellamts mangelnde Marktabdeckungsgrade, intransparente Ranking-Reihenfolgen und missverständliche Formulierungen vermeintlicher Knappheiten, Vorteile oder Exklusivangebote. Außerdem beanstandete es die eingeschränkten Bewertungsbreiten: Bewertungen stammen in der Regel nur von Nutzern, die einen Abschluss über das Portal getätigt haben. Für die Verbraucher seien zudem die Kooperationen zwischen den unterschiedlichen Portalen nicht ersichtlich. So werde der Verbraucher in die Irre geführt, wenn er annimmt, gleiche Suchergebnisse auf unterschiedlichen Vergleichsportalen stellten eine Bestätigung seiner Recherchen dar.

Resümee

Bisher beschränken sich die Befugnisse des Kartellamts auf die Untersuchung und Feststellung solcher strukturellen Defizite. In der Sektoruntersuchung zu Vergleichsportalen hat das Bundeskartellamt an 152 Portale Strukturfragebögen versandt, in denen die Eckdaten der Portale auf freiwilliger Basis abgefragt wurden. In der Folge wurden 36 Portale ausgewählt, die mittels förmlichen Auskunftsbeschlusses dazu aufgefordert wurden, insgesamt 50 Branchen-Fragebögen zu beantworten sowie Unterlagen zu übersenden. Deren Beantwortung ist für die Unternehmen verpflichtend; unvollständige oder falsche Antworten können mit einem Bußgeld geahndet werden. Parallel hierzu führte das Bundeskartellamt Gespräche mit Marktteilnehmern. Abschließend zur Untersuchung veröffentlichte es im April 2019 einen Bericht, in dem die Mechanismen der einzelnen Portale dargestellt werden. Das Bundeskartellamt hat bislang aber keine Befugnis, festgestellte Rechtsverstöße durch behördliche Verfügungen abzustellen.

Ausblick

Eine Ausweitung der verbraucherschutzrechtlichen Kompetenzen des Bundeskartellamts mit der 10. GWB-Novelle wird derzeit diskutiert. Erörtert wird beispielsweise die Ausweitung des Anwendungsbereichs der bußgeldrechtlichen Sanktionsbefugnisse, wobei angesichts der weit gefassten Tatbestände im deutschen Lauterkeitsrecht ein besonderes Augenmerk auf das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot zu richten ist. Auch ein „overenforcement“ bei geringfügigen Verstößen ist zu vermeiden.

Diese Entwicklung wird nicht nur vom „New Deal for Consumers“ der Europäischen Kommission und der anstehenden Reform des Verbraucherschutzdurchsetzungsgesetzes, sondern auch von einer Studie zur behördlichen Durchsetzung des Verbraucherrechts befeuert. Die im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums erstellte Studie kommt zu dem Ergebnis, dass ein Einschreiten des Bundeskartellamtes bei besonders schweren Verstößen gegen Verbraucherschutzrecht wünschenswert wäre. Die Studie fordert für solche Fälle nicht nur effektivere Durchsetzungsinstrumente des Kartellamts, sondern auch eine höhere Transparenz und Aufklärung („Naming and Shaming“) durch die öffentlichkeitswirksame Arbeit des Bundeskartellamts.

Wir erwarten, dass der Gesetzgeber diese Ideen im Rahmen der geplanten 10. GWB-Novelle aufgreifen und die Rolle des Bundeskartellamts beim Verbraucherschutz aufwerten wird. Denkbar ist die Ausweitung der Befugnisse des Bundeskartellamts beispielsweise durch Möglichkeiten der Verhängung von Bußgeldern sowie erweiterte Ermittlungs- und Abstellungsbefugnisse.

Wenn Sie Fragen zu dem Thema haben, wenden Sie sich gerne an Ramona Tax und Jan Christian Eggers.

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