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Verschärfung des Klimaschutzgesetzes nach BVerfG-Entscheidung/Deutsche Sustainable Finance Strategie

Es vergeht derzeit kaum eine Woche, ohne dass das Thema „Nachhaltigkeit und Recht“ erneut hohe Wellen schlägt. Erst jüngst hatte sich die EU auf ein europäisches Klimagesetz geeinigt, das die EU verpflichtet, bis 2050 Klimaneutralität herzustellen und die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 % gegenüber dem Stand von 1990 zu senken (vgl. unseren Blog-Beitrag vom 27. April 2021). Im deutschen Klimaschutzgesetz hatte der nationale Gesetzgeber bereits im Jahr 2019 die nationalen Klimaschutzziele (bis zum Jahr 2030 Treibhaugasreduktion um
55 % gegenüber 1990) und die bis zum Jahr 2030 zulässigen sektorbezogenen Jahresemissionsmengen festgelegt. Nun hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden, dass diese Regelungen insofern mit Grundrechten unvereinbar sind, als hinreichende Maßgaben für die weitere Emissionsreduktion ab dem Jahr 2031 fehlen. Die Vorschriften würden hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030 verschieben. Die Treibhausgasemissionen müssten gemindert werden; das folge auch aus dem Grundgesetz (vgl. Pressemitteilung und Beschluss des BVerfG).

Die Entscheidung des BVerfG in aller Kürze:

Der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schließe den Schutz vor Beeinträchtigungen durch Umweltbelastungen ein. Die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgende Schutzpflicht des Staates umfasse auch die Verpflichtung, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen. Sie könne auch eine Schutzverpflichtung in Bezug auf künftige Generationen begründen. Da infolge des Klimawandels Eigentum Schaden nehmen kann, schließt auch das Grundrecht auf Eigentum aus Art. 14 Abs. 1 GG eine Schutzpflicht des Staates hinsichtlich der Eigentumsgefahren des Klimawandels ein. Es wäre daher völlig unzulänglich, dem Klimawandel freien Lauf zu lassen. Allerdings kommt dem Gesetzgeber bei der Erfüllung seiner Schutzpflichten ein Spielraum zu. Eine Verletzung dieser Schutzpflichten konnte das BVerfG mit Blick auf das deutsche Klimaschutzgesetz daher nicht feststellen.

Grundrechte sind aber nach Auffassung des BVerfG dadurch verletzt, dass die im deutschen Klimaschutzgesetz bis zum Jahr 2030 zugelassenen Emissionsmengen die nach 2030 noch verbleibenden Emissionsmöglichkeiten erheblich reduzieren. Dadurch sei praktisch jegliche grundrechtlich geschützte Freiheit gefährdet.

Art. 20a GG verpflichtet den Staat zum Klimaschutz und zielt auf die Herstellung von Klimaneutralität. Der Klimaschutz genieße zwar keinen unbedingten Vorrang gegenüber anderen Belangen. Er werde aber immer dringender, je weiter der Klimawandel fortschreitet und je eher eine Überschreitung der maßgeblichen Temperaturschwellen drohe. Indem der Gesetzgeber das Paris-Ziel im Klimaschutzgesetz zur Grundlage erklärt hat, habe er das Klimaschutzziel in Art. 20a GG konkretisiert, und zwar dahingehend, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 °C und möglichst auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Diese Temperaturschwelle könne prinzipiell in ein globales CO2-Restbudget – und dieses wiederum in ein nationales CO2-Restbudget – umgerechnet werden. Dieses nationale Restbudget würde durch die im Klimaschutzgesetz geregelten Emissionsmengen bis zum Jahr 2030 weitgehend aufgebraucht. Es sei daher erforderlich, die nach Art. 20a GG verfassungsrechtlich notwendigen Reduktionen von CO2-Emissionen („Treibhausgasminderungslast“) vorausschauend in grundrechtsschonender Weise über die Zeit zu verteilen. Es dürfe nicht einer Generation zugestanden werden, unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben umfassenden Freiheitseinbußen ausgesetzt würde.

Künftig könnten selbst gravierende Freiheitseinbußen zum Schutz des Klimas verhältnismäßig und verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein; gerade deshalb drohe dann die Gefahr, erhebliche Freiheitseinbußen hinnehmen zu müssen. Weil die Weichen für künftige Freiheitsbelastungen bereits durch die aktuelle Regelung zulässiger Emissionsmengen gestellt werden, müssten die Auswirkungen auf künftige Freiheit aber aus heutiger Sicht verhältnismäßig sein. Der Schutzauftrag Art. 20a GG schließe die Notwendigkeit ein, die natürlichen Lebensgrundlagen so zu bewahren, dass sie auch von nachfolgenden Generationen – und zwar nicht nur um den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit – weiter bewahrt werden könnten. Das BVerfG bezeichnet das als intertemporale Freiheitssicherung.

Es sei daher erforderlich, den Übergang zu Klimaneutralität rechtzeitig einzuleiten und frühzeitig transparente Maßgaben für die weitere Ausgestaltung der Treibhausgasreduktion zu formulieren. Diese Maßgaben müssten für die notwendigen Entwicklungs- und Umsetzungsprozesse Orientierung bieten und diesen ein hinreichendes Maß an Entwicklungsdruck und Planungssicherheit vermitteln. Verfassungsrechtlich unerlässlich sei dafür zum einen, dass weitere Reduktionsmaßgaben rechtzeitig über das Jahr 2030 hinaus und zugleich hinreichend weit in die Zukunft hinein festgelegt werden. Zum anderen müssen weitere Jahresemissionsmengen und Reduktionsmaßgaben so differenziert festgelegt werden, dass eine hinreichend konkrete Orientierung entsteht.

Bislang fehle es indes an den erforderlichen Vorkehrungen zur Gewährleistung eines freiheitsschonenden Übergangs in die Klimaneutralität. Der Gesetzgeber habe die Fortschreibung des Treibhausgasreduktionspfads im Klimaschutzgesetz verfassungsrechtlich unzureichend geregelt. Das BVerfG verwies übrigens auch darauf, dass der Staat sich seiner Verantwortung nicht durch den Hinweis auf die Treibhausgasemissionen in anderen Staaten entziehe könne. Zudem ändere wissenschaftliche Ungewissheit über umweltrelevante Ursachenzusammenhänge nichts daran, dass der Gesetzgeber bereits belastbare Hinweise auf die Möglichkeit gravierender oder irreversibler Beeinträchtigungen zu berücksichtigen habe.

Die Reaktion der Bundesregierung auf die vorstehend dargestellte Entscheidung des BVerfG kam prompt. Sie will die Klimaschutzziele noch in dieser Legislaturperiode verschärfen. Im Gespräch aktuell: Klimaneutralität bis 2045 (statt 2050) und Treibhausgasreduktion um 65 % (statt 55 %) bis 2030. Nur so könne Deutschland in Europa hinsichtlich Treibhausgasreduktion weiterhin eine Vorreiterrolle einnehmen, wird dazu angemerkt. Die Klimagesetz-Änderung soll schon in der kommenden Woche im Kabinett verabschiedet werden.

Und noch eine weitere aktuelle Entwicklung gibt es in aller Kürze zu vermelden:

Verabschiedung der deutschen Sustainable Finance Strategie

Das Bundeskabinett hat am 5. Mai die Deutsche Sustainable Finance-Strategie beschlossen. Die Strategie verfolge das Ziel, dringend notwendige Investitionen für Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu mobilisieren und adressiere zugleich die zunehmenden Klimarisiken für das Finanzsystem, so das Bundesfinanzministerium in einer Pressemitteilung. Deutschland solle zu einem führenden Sustainable Finance-Standort entwickelt werden.

Der Abschlussbericht des Sustainable Finance-Beirats vom 25. Februar 2021 „Shifting the Trillions – Ein nachhaltiges Finanzsystem für die Große Transformation“ war eine zentrale Grundlage bei der Erstellung der Deutschen Sustainable Finance-Strategie. Unter anderem greift die Bundesregierung in ihrer Strategie die (bislang so genannte) nichtfinanzielle Berichterstattung und die diesbezüglichen Pläne der EU-Kommission zu ihrer Ausweitung auf (vgl. zum Richtlinien-Entwurf der EU-Kommission für die künftige Nachhaltigkeits-Berichterstattung ebenfalls unseren Blog-Beitrag vom 27. April 2021). Sie will der von ihr beschlossenen Anforderungskatalog in die anstehenden Verhandlungen zu dieser Richtlinie einbringen.

Die Bundesregierung möchte ferner die europäische Sustainable Finance-Agenda voranbringen und im Kontext der künftigen Renewed Sustainable Finance Strategy der EU-Kommission auf eine Stärkung der Sustainable Corporate Governance und eine vermehrte Berücksichtigung sozialer Aspekte (soziale Taxonomie und europäisches Lieferkettengesetz) hinwirken. Besondere Bedeutung erlange die Verzahnung von Sustainable Finance-Maßnahmen mit den Anforderungen eines künftigen europäischen Sorgfaltspflichtengesetzes. Zudem möchte die Bundesregierung auf der europäischen Ebene darauf hinwirken, dass die Nachhaltigkeitsexpertise in den Leitungsgremien gestärkt wird. Die Strategie ist hier abrufbar.

Über den Entwurf für ein deutsches Lieferkettengesetz hatten wir zuletzt ja bereits in unserem Blog-Beitrag vom 9. März 2021 berichtet. Darin hatten wir auch darauf hingewiesen, dass ein konkreter Regelungsvorschlag der EU-Kommission für ein (voraussichtlich umfassenderes) europäisches Lieferkettengesetz bereits für den kommenden Juni erwartet wird. Ob nun deutsch oder europäisch: Die Bundesregierung legt in ihrer Sustainable Finance-Strategie jedenfalls nahe, dass auf die Unternehmen hier so oder so mittelfristig neue menschenrechtliche Sorgfaltspflichten zukommen. Und diese wiederum könnten – wie die Entscheidung des BVerfG nahelegt – auch das Bemühen um den Schutz vor Beeinträchtigungen durch Umweltbelastungen beinhalten. Ob und wie beide Aspekte tatsächlich zusammenwirken, wird noch im Einzelnen zu klären sein.

Aber auch unabhängig von dieser rechtlichen Dimension kann die Bedeutung für die Unternehmen gar nicht mehr unterschätzt werden. Denn was das BVerfG ganz allgemein herausgestellt hat, würde auch vor den Geschäftsmodellen der Unternehmen nicht halt machen: „Von den künftigen Emissionsminderungspflichten ist praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind.“

Es lohnt sich also, vor die Welle zu kommen.

Dr. Daniel Walden
Dr. André Depping


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