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Decentralized Autonomous Organization – Vision und gesellschaftsrechtliche Einordnung

Der 50-Millionen-Raub titelt die FAZ. Das Magazin Wired schreibt von „The Biggest Crowdfunding Project Ever - the DAO - Is Kind of a Mess“. So wurde die sog. Decentralized Autonomous Organization (DAO) erstmals im Juli 2016 bekannt, zu einem Zeitpunkt, als sie sich in einer denkbar ungünstigen Lage befand.

Die Initiatoren des Projekts, der kanadisch-russische Softwareentwickler Vitalik Buterin und sein deutscher Mitstreiter Christoph Jentzsch, waren davon überzeugt etwas nie Dagewesenes ins Leben gerufen zu haben. Nach ihrer Vision sollte die DAO ein sich selbst verwaltender Rechtsträger sein, der auf Grundlage eines dezentralen Abstimmungsprozesses unter Mitgliedern Entscheidungen automatisch exekutiert. Neueste digitale Instrumente sollten dabei jegliche menschliche Administration ersetzen. Die Begeisterung über eine virtuelle Gesellschaft führte zur ersten Gründung und zur erfolgreichen Emission von Anteilsrechten im Wert von insgesamt ca. USD 152 Millionen. Nur wenige Wochen später jedoch wurde die DAO Zielobjekt unbekannter, krimineller Hacker, die den Anlegern USD 50 Millionen entwendeten. Diese kriminelle Tat, welche bis heute nicht vollends aufgeklärt werden konnte, führte zu erheblichen Zweifeln an der Vision, den Initiatoren und letztlich auch an der zugrundeliegenden Technologie.

Was aber steckt technologisch hinter der Vision einer DAO, wie lässt sie sich rechtlich einordnen und welche Relevanz kommt diesem Konzept heute noch zu?

Technischer Hintergrund

Eine DAO ist ein Gefüge von verschiedenen Smart Contracts, die sich aufeinander beziehen und bei Eintritt vorher definierter Bedingungen Maßnahmen ausführen (Zu diesem Thema vertiefend Dr. Christian Philipp Kalusa „Sonderthema Blockchain: Die Anwendung von Smart Contracts“).

Das Gefüge aus Smart Contracts ist in eine Blockchain eingebettet, eine digitale Datenbank, die öffentlich einsehbar Informationstransaktionen manipulationssicher dezentral speichert. Anleger können von der DAO emittierte Token erwerben, die ihnen Mitgliedschaftsrechte wie z. B. Stimmrechte oder Gewinnbezugsrechte einräumen. Diese Token werden je nach Gewichtung ihrer Funktionen Equity- bzw. Utility-Token genannt.

Equity- bzw. Utility-Token
Token sind Software-Protokolle, die dem Inhaber bestimmte Rechte gewähren. Sie werden in sog. ICOs emittiert und können gegen Zahlung einer anerkannten Währung oder Kryptowährung erworben werden. Utility-Token erlauben einen Zugriff auf bestimmte Dienstleistungen oder Produkte, ähnlich einer Eintrittskarte oder eines Gutscheins. In diese Kategorie fallen laut BaFin die Mehrzahl der bisher bekannten im Inland im Rahmen eines ICOs ausgegebenen Krypto-Token. Grundsätzlich stellen Utility-Token keine Wertpapiere i. S. d. WpPG oder Vermögensanlagen i. S. d. VermAnlG dar. Solche Token sind in vielen Fällen auch keine Finanzinstrumente nach dem KWG. Equity-Token dagegen gewähren mitgliedschaftliche Rechte oder schuldrechtliche Ansprüche vermögenswerten Inhalts, die denen eines Aktieninhabers oder Inhabers eines Schuldtitels vergleichbar sind (z. B. Ansprüche auf dividendenähnliche Zahlungen, Mitbestimmung, Rückzahlungsansprüche, Verzinsung). Sie stellen grundsätzlich Wertpapiere i. S. d. ProspektVO, des WpPG und des WpHG dar und sind daneben auch Finanzinstrumente i. S. d. KWG.


Bei der DAO wird beispielsweise vorher definiert, welche Quoren für einen bestimmten Beschluss unter den Mitgliedern nötig sind. Ein Smart Contract, der eine bestimmte Transaktion an ein reales Bankkonto vorsieht, wird als Beschlussvorlage eingeführt. Dann übt jedes Mitglied sein Stimmrecht über den Token aus. Bei Vorliegen des entsprechenden Quorums wird automatisch die Transaktion ausgeführt. Einen geschäftsführenden Vorstand oder einen Aufsichtsrat bedarf es in diesem Szenario nicht.

Rechtliche Einordnung

Problematisch ist bei einer virtuellen Organisation zunächst die Frage nach dem anwendbaren Rechtsstatut. Die der DAO zugrundeliegenden Smart Contracts werden über ein weltweit verbreitetes Server-Netzwerk betrieben. Auch die Mitgliederschaft ist international und man begegnet sich i. d. R. nur online. Damit kann nicht der Verwaltungssitz Anknüpfungspunkt für die anwendbare Rechtsordnung sein. Dieser ist schlichtweg nicht auszumachen. Es muss das sog. lex fori, also das am Ort des im Einzelfall angerufenen Gerichts geltende Recht, maßgeblich sein. Dass dies zu unterschiedlichen Ergebnissen der rechtlichen Einordnung führen kann, liegt auf der Hand.

Des Weiteren kann der Vertragsschluss zwischen den Beteiligten Fragen aufwerfen. Um einen Mitgliedschaftstoken über die Blockchain zu erwerben, muss der Anleger sich pseudonymisieren. Daraus ergeben sich Zurechnungsschwierigkeiten. Stimmen in der Rechtswissenschaft halten dieses Problem jedoch für lösbar, denn eine Pseudonymisierung sei mit entsprechendem Rechenaufwand aufzuklären.

Einen wirksamen Vertragsschluss angenommen, würde man eine DAO jedenfalls als eine GbR i. S. v. §§ 705 ff. BGB einordnen. Da die Beteiligten bewusst auf gesetzliche Publizitätserfordernisse des Gesellschaftsrechts verzichten – sie wollten nach ihrer Vision gerade eine gänzlich neue Organisationsform schaffen – kann eine DAO nicht direkt als z. B. AG, GmbH oder KG ausgestaltet sein. Die Einordnung als GbR ergibt sich dann kraft Rechtsformzwangs, denn das deutsche Gesellschaftsrecht teilt auch bei Unkenntnis der Beteiligten darüber, dass sie eine Gesellschaft sind, eine Rechtsform zu.

Bei wirtschaftlicher Betätigung der DAO würde sich eine unbeschränkte persönliche Haftung aller Mitglieder gem. § 128 HGB analog ergeben. Das birgt selbstverständlich hohe Risiken.

Eine andere Einordnung der DAO in die gesellschaftsrechtlichen Rechtsformen wäre nur dann möglich, wenn man sie nicht als den Unternehmensträger selbst ansieht, sondern sich nur der Funktionen einer DAO im Rahmen einer Finanzierung zu Nutzen macht. Die DAO kann als ein Vehikel für Online-Crowdfunding fungieren.

Diesem Vehikel würde man jedoch eine GmbH „vorschalten“, an der die DAO sich anhängt als stille Gesellschaft. Die Vision der Initiatoren prallt somit auf die nüchterne Realität des deutschen Gesellschaftsrechts. Ist damit das Konzept der DAO nur Gedankenspielerei?

Relevanz und Ausblick

Auch wenn die Gesamtanzahl an ICOs schon 2019 rückläufig war, werden experimentelle, insbesondere digitale, Finanzierungsmechanismen und Organisationsformen weiterhin nachgefragt. Die DAO ist Ausdruck dieser Nachfrage. Es werden neueste digitale Instrumente zur Verwirklichung eines unternehmerischen Ziels eingesetzt. Dabei werden die herkömmlichen Organisationsformen infrage gestellt. Das Experiment DAO sollte aber nicht als Gegenentwurf betrachtet werden, sondern kann Inspiration für die Gestaltung von Prozessen sein. So könnte bei einer virtuellen Hauptversammlung, die in Zeiten der Covid19-Pandemie unerlässlich ist, auf Token und Smart Contracts wie bei einer DAO zurückgegriffen werden.

Insofern ist die Vision von Vitalik Buterin und Christoph Jentzsch gerade heute wieder relevant.

Bis zu einer vollständigen Anerkennung ihres Konzepts als eigene Rechtsform müsste sich allerdings noch viel verändern. Gesellschaft sein zu können, bedeutet im deutschen Recht immer, zwingendes Recht wie Publizitätserfordernisse erfüllen zu müssen. Es handelt sich um den im Zivilrecht immerwährenden Konflikt zwischen Privatautonomie einerseits und Verkehrs- und Gläubigerschutz andererseits. Letztlich kann nur der Gesetzgeber diese Wertungsentscheidung allgemeinverbindlich treffen. Im Sinne weiterer Innovationskraft könnte es dienlich sein, hier zugunsten einer Decentralized Autonomous Organization zu entscheiden.

Julius Weisshaupt