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Wie würden Sie entscheiden? Mehrarbeitszuschläge bei Voll- und Teilzeitarbeit

„Wie würden Sie entscheiden?“ war eine Gerichtsshow, die von 1974 bis 2000 im ZDF gesendet wurde. In dieser Sendung wurden echte Gerichtsverfahren im Fernsehstudio vor Publikum verhandelt und noch vor der Bekanntgabe des echten Urteils wurde das Studiopublikum per Knopfdruck nach seiner Meinung gefragt. Üblicherweise stelle ich in meinen Blogbeiträgen Urteile und Gesetzesänderungen vor und gebe meine Meinung zu verschiedenen arbeitsrechtlichen Themen wieder. Heute frage ich jedoch: Wie würden Sie entscheiden?

Der Gleichbehandlungsgrundsatz besagt, dass „Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln ist“. Dieser Gleichbehandlungsgedanke zwischen Teilzeit- und Vollzeitarbeitnehmern ist in § 4 Abs. 1 TzBfG gesetzlich normiert. Danach darf ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer wegen der Teilzeit nicht schlechter behandelt werden, als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass es sachliche Gründe für eine unter-schiedliche Behandlung gibt. Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist einfach verständlich. In der Praxis oftmals jedoch nicht ganz so leicht umsetzbar, da nicht immer eindeutig ist, was gleich und was ungleich bedeutet.

Ausgangsfall

Ein tarifgebundener Arbeitgeber beschäftigt Arbeitnehmer in Vollzeit und in Teilzeit. Im anwendbaren Tarifvertrag ist eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden vereinbart. Im Tarifvertrag ist auch vereinbart, dass Überstunden, die im Durchschnitt über 40 Stunden/Woche hinausgehen, mit einem Überstundenzuschlag in Höhe von 25 Prozent zu vergüten sind.

Ein Arbeitnehmer in Teilzeit mit 20 Wochen-Stunden leistete in einer Woche fünf Überstunden (insgesamt 25 Stunden). Die fünf Überstunden wurden ihm vergütet. Überstundenzuschläge hat er nicht erhalten, da er nicht die für die Überstundenzuschläge erforderliche Grenze von mindestens 40 Stunden/Woche erreichte. Ein Kollege von ihm in Vollzeit arbeitete in dieser Woche ebenfalls fünf Überstunden (45 Stunden). Auch ihm wurden die fünf Überstunden vergütet. Er bekam für diese fünf Stunden jedoch noch einen Überstundenzuschlag in Höhe von 25 Prozent.

Ist diese Handhabung gleich und damit keine Benachteiligung, da alle Arbeitnehmer in Voll- und Teilzeit erst ab 40 Stunden/Woche Überstundenzuschläge erhalten oder ist diese Regelung ungleich, da Vollzeitmitarbeiter bereits ab der ersten Überstunde Zuschläge erhalten, Teilzeitarbeitnehmer hingegen erst z.B. ab der 21. Überstunde. Wie würden Sie entscheiden? Sie können nicht falsch liegen, da auch das BAG zuletzt unterschiedlich entschied.

BAG vom 26.04.2017 – 10 AZR 589/15

Die Klage des Teilzeitarbeitnehmers auf Überstundenzuschläge wurde abgewiesen. Der tarifvertragliche Überstundenzuschlag sei allein davon abhängig, ob ein bestimmtes Arbeitszeitvolumen überschritten wird. Dann ist ein zusätzliches Entgelt erforderlich. Es liege keine Ungleichbehandlung von Voll- und Teilzeitbeschäftigten vor, da beide für die gleiche Anzahl von Arbeitsstunden die gleiche Gesamtvergütung erhalten. Überstundenzuschläge fallen für Voll- und Teilzeitarbeitnehmer erst ab der gleichen Grenze (40 Stunden-Woche) an. Anderenfalls läge eine Ungleichbehandlung vor, da beispielsweise der Vollzeitmitarbeiter bei einer 40-Stunden-Woche keinen Zuschlag erhalten würde, der Teilzeitmitarbeiter, der normaler-weise 20-Stunden-Woche arbeitet, bei einer ausnahmsweise 40-Stunden-Woche für 20 Stunden die Zuschläge erhalten würde, und damit für die gleiche Arbeit mehr Vergütung erhalten würde. Ein Mehrarbeitszuschlag ziele regelmäßig darauf ab, eine besondere Arbeitsbelastung durch eine zusätzliche Vergütung auszugleichen. Die Arbeitsbelastung sei eben bei mehr als 40-Stunden/Woche Der Tarifvertrag wolle nicht den individuellen Freizeitbereich des Arbeitnehmers schützen.

BAG vom 19.12.2018 – 10 AZR 231/18

Der 10. Senat hat seine Rechtsprechung geändert. Nach Ansicht des BAG ist der Mehrarbeitszuschlag für diejenige Arbeitszeit zu zahlen, die über die jeweils individuell festgelegte Arbeitszeit hinausgeht. Dies bedeutet, dass der Teilzeitarbeitnehmer im Beispielsfall ab der 21. Wochenstunde einen Überstundenzuschlag erhält. Dies sei mit dem Benachteiligungsverbot nach § 4 Abs. 1 TzBfG vereinbar. Wenn Teilzeit- und Vollzeitarbeitnehmer erst ab derselben Zahl von Arbeitsstunden (z.B. 40-Stunden-Woche) einen Mehrarbeitszuschlag erhalten, läge eine Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten vor. Die Grenze müsse bei Teilzeitarbeitnehmern proportional zu ihrer vereinbarten Arbeitszeit sinken. Ein Überstundenzuschlag solle allein belohnen, dass ein Arbeitnehmer ohne Freizeitausgleich mehr als vertraglich vereinbart arbeitet und dadurch planwidrig die Möglichkeit einbüße, über seine Zeit frei zu verfügen. Deshalb sei der Mehrarbeitszuschlag aus Gleichbehandlungsgründen bereits dann zu bezahlen, wenn der Teilzeitbeschäftigte eine über seine individuelle Arbeitszeit hinausgehende Überstunde leiste. Auch der teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer habe nach seiner Teilzeitarbeit Verpflichtungen, wie beispielsweise die Kinder nach Kindergarten und Schule zu betreuen.

Weitere Fragen rund um das Thema Überstundenzuschlag beantwortet Dr. Erik Schmid gerne.

Hinweis: Dieser Blog-Beitrag ist bereits im arbeitsrechtlichen Blog von Dr. Erik Schmid im HJR- Verlag erschienen.

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