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Zumutbare Kalkulations- oder Höchstpreisvorgaben sind von Bietern einzuhalten

Verbände der gesetzlichen Krankenkassen (AG) führten ein Verfahren zur Vergabe von Kontrastmitteln durch. Die AG forderten nach den Vergabeunterlagen je Fachlos einen anzubietenden Rabatt in Höhe von mindestens 15 Prozent bezogen auf den niedrigsten Preis des jeweiligen Produkts gemäß Lauer Taxe vom 1. Januar 2017. Die Antragstellerin (ASt) rügte u. a. den vorgegebenen Mindestrabatt als vergaberechtswidrig und reichte nach Nichtabhilfe durch die AG einen Nachprüfungsantrag ein. Die befasste Vergabekammer hielt den Antrag für begründet. Das Vergaberecht gestatte den AG zwar die Festlegung des Beschaffungsbedarfs, sie dürften aber – außerhalb des § 58 Abs. 2 S. 2 VgV – keine zwingenden Vorgaben an die Gegenleistung in Form von Höchstpreisvorgaben stellen. Dagegen legten die AG sofortige Beschwerde ein und beantragten zudem die (Vorab-)Gestattung des Zuschlags nach § 176 GWB.

Entscheidung des OLG Düsseldorf (Beschluss vom 28. Juni 2017, VII Verg 24/17)

Mit Erfolg! Das OLG Düsseldorf gestattete den AG vorab, d. h. vor der Entscheidung über die sofortige Beschwerde, den Zuschlag auf die betroffenen Lose zu erteilen. Nach Ansicht des Senats überwiegt das Interesse der AG und der Allgemeinheit an einem raschen Zuschlag das Interesse der ASt, ihre Chancen auf Zuschlagserteilung zu wahren. Dies folge aus dem voraussichtlichen Erfolg der Beschwerde der AG und den erheblichen finanziellen Nachteilen für die AG bei einer Verzögerung des Zuschlags.

1. Nach dem OLG Düsseldorf sind Kalkulationsvorgaben durch den öffentlichen Auftraggeber im Grundsatz vergaberechtlich zulässig. Sie beschränkten zwar die Kalkulationsfreiheit der Bieter und „kanalisierten“ in gewissem Umfang auch den Preiswettbewerb, beruhten jedoch auf der Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers. Allerdings müssten Kalkulationsvorgaben nicht nur eindeutig und bestimmt sein. Vielmehr dürften sie die Bieter auch nicht unzumutbar belasten.

Eine unzumutbare Belastung durch den geforderten Mindestrabatt bzw. dem sich daraus ergebenden Höchstpreis lag aus Sicht des Senats nicht vor. Die AG hätten den Mindestrabatt unter Zugrundelegung von Marktrecherchen festgelegt. Aus denen ergebe sich, dass für patent- und nichtpatentgeschützte Arzneimittel zweistellige Rabatte üblich seien und so auch für Kontrastmittel (10 - 20 Prozent ohne vertragliche Exklusivität). Es seien daher erheblich höhere Rabatte als 15 Prozent zu erwarten gewesen, was auch die eingegangenen Angebote im Nachhinein bestätigten. Zudem seien die Listenpreise ohne nennenswerten Wettbewerbsdruck zustande gekommen und es bestehe keine gesetzliche Preisregulierung.

2. Das Überwiegen des Interesses der AG und der Allgemeinheit an einer Vorabgestattung des Zuschlags folgt nach dem OLG Düsseldorf neben den Erfolgsaussichten der Beschwerde daraus, dass den AG ohne Vorabgestattung Rabatteinnahmen in Höhe von ca. EUR 3,1 Mio. entgehen. Ohne Vorabgestattung sei eine viermonatige Verzögerung des für den 1. Oktober 2017 vorgesehenen Zuschlags zu erwarten, weil die mündliche Verhandlung erst für den Dezember terminiert sei und daher mit einer Zuschlagserteilung nicht vor Ende Januar 2018 zu rechnen sei.

Praxishinweise

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf verdeutlicht, dass bei Kalkulations- oder Höchstpreisvorgaben in den Vergabeunterlagen Vorsicht geboten ist. Öffentliche Auftraggeber müssen darauf achten, Bieter durch derartige Vorgaben nicht unzumutbar zu belasten. Zu diesem Zweck ist zunächst auf eine ordnungsgemäße Ermittlung der Höhe eines angemessenen Mindestrabatts nach ggf. erfolgter Marktrecherche zu achten. Aufbauend darauf sollten die Kalkulations- oder Höchstpreisvorgaben unter Berücksichtigung insbesondere der festgelegten Mindestanforderungen an die Leistung einen ausreichenden Wettbewerb erlauben. Ein solcher wird etwa dann nicht gewährleistet sein, wenn die Vorgabe eines Höchstpreises in Kombination mit den Mindestanforderungen an die Leistung voraussichtlich nur Angebote zulässt, die ungewöhnlich niedrig im Sinne von § 60 VgV sind.

Der Inhalt der Entscheidung des OLG Düsseldorf zur Zulässigkeit von Kalkulations- und Höchstpreisvorgaben war aufgrund der hierzu bereits ergangenen Rechtsprechung zu erwarten (siehe etwa: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. November 2012, VII-Verg 42/12; OLG Frankfurt, Beschluss vom 11. Oktober 2016; OLG Naumburg, Beschluss vom 14. Oktober 2016, 7 Verg 3/16; VK Sachsen, Beschluss vom 28. August 2013 1/SVK/026-13; vgl. auch EuG, Urteil vom 13. September 2011, T-8/09). Insoweit verwundert es, dass die VK Bund im vorliegenden Fall zu einer anderen Auffassung kam. Dies wäre bei einer Bezugnahme auf den Beschluss des OLG Düsseldorf vom 22. Dezember 2010 (Verg 33/10), wonach es unzulässig ist, negative Einheitspreise in den Vergabeunterlagen zu verbieten, noch in gewisser Weise verständlich gewesen. Unabhängig davon, dass diese Entscheidung nicht auf Fälle übertragbar ist, bei denen eine Kalkulationsvorgabe im Ergebnis einer Höchstpreisfestlegung entspricht, erwähnte die VK Bund sie aber nicht.

Offen bleibt, aus welchen vergaberechtlichen Vorschriften bzw. Vorgaben folgt, dass Kalkulations- und Höchstpreisvorgaben zumutbar sein müssen. In Betracht käme neben dem in § 97 Abs. 1 S. 2 GWB verankerten Verhältnismäßigkeitsprinzip oder dem § 60 VgV (ungewöhnlich niedrige Angebote) insbesondere das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung. Aus diesem Gebot kann nach h. M. (siehe nur OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. Juli 2014, 15 Verg 5/14, m. w. N.) im Einzelfall die Rechtswidrigkeit einer Vorgabe folgen, die dem Bieter eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation unzumutbar macht.

Neben den Aussagen zu Kalkulationsvorgaben ist der hier besprochene Beschluss des OLG Düsseldorf auch deshalb bedeutsam, weil er zeigt, unter welchen (Ausnahme)Umständen ein Antrag auf Vorabgestattung des Zuschlags Erfolg verspricht. Nach bisheriger Rechtsprechung sind die durch Inanspruchnahme von Rechtsschutz verbundenen Verzögerungen grundsätzlich hinzunehmen. Darüber hinaus bedarf es für die Vorabgestattung eines besonderen Beschleunigungsinteresses (siehe OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 5. März 2014, 11 Verg 1/14). Ähnlich heißt es in der Literatur, dass verzögerungsbedingte Kostensteigerungen, Mehrvergütungen oder Kosten für Zwischenlösungen regelmäßig nicht die Vorabgestattung des Zuschlags rechtfertigen, außer die drohende Verzögerung führt zu einer außergewöhnlichen wirtschaftlichen Belastung des AG. Der Aspekt der außergewöhnlichen wirtschaftlichen Belastung in Form des Entgehens von Rabatteinnahmen in Höhe von ca. EUR 3,1 Mio. war für das OLG Düsseldorf neben den hohen Erfolgsaussichten der Beschwerde offensichtlich Grund genug, die Erteilung des Zuschlags hier vorab zu gestatten. Von einer ausführlichen Abwägung sah der Senat indes ab.

Wenn Sie Fragen zu diesem Thema haben, wenden Sie sich bitte an Herrn Daniel Rusch.

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