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Sektoruntersuchung der EU-Kommission zum Internethandel

Die für Wettbewerbspolitik zuständige EU-Kommissarin Margrethe Vestager hat Ende März eine Sektoruntersuchung des E-Commerce in der EU angekündigt und diese am 6. Mai 2015 beschlossen. Sie ist besorgt, dass Unternehmen den grenzüberschreitenden Online-Handel behindern, gerade bei Vertriebsverträgen und digitalen Medien.

Was ist eine Sektoruntersuchung?

Die Europäische Kommission darf einen Wirtschaftszweig untersuchen, wenn sie Anhaltspunkte für die Vermutung hat, dass der Wettbewerb im Europäischen Binnenmarkt möglicherweise eingeschränkt oder verfälscht ist (vgl. Artikel 17 der Verordnung 1/2003). Dazu darf die Kommission von Unternehmen und Verbänden Auskünfte verlangen. Ziel der Informationssammlung ist es, wettbewerbliche Fehlentwicklungen zu erkennen und zu beseitigen. Am Ende der Untersuchung können etwa Bußgeldverfahren gegen einzelne Unternehmen oder veränderte Verfolgungsprioritäten stehen. Bestenfalls können Unternehmen von klareren rechtlichen Vorgaben profitieren.

Warum gerade im E-Commerce und warum gerade jetzt?

Die Errichtung des Binnenmarkts ist die zentrale Aufgabe der EU. Bei dessen Verwirklichung haben die Europäischen Institutionen dem Fernabsatz seit jeher eine besondere Rolle zugedacht, weil er einen grenzüberschreitenden Handel zu relativ geringen Kosten ermöglicht. Im E-Commerce bestehen derzeit aber noch zu viele "digitale Grenzen", so die Europäischen Kommission. Um diese möglichst zu beseitigen, hat sie Anfang Mai eine "Strategie für einen digitalen Binnenmarkt für Europa" veröffentlicht. Die Sektoruntersuchung ist ein Teil der Strategie. Sie soll ermitteln, ob den grenzüberschreitenden E-Commerce neben Sprach- und Gesetzesvielfalt auch Wettbewerbsbeschränkungen der Unternehmen hemmen, und diese ggf. im Anschluss beseitigen. Die Europäische Kommission führt außerdem im Bereich E-Commerce bereits drei größere Verfahren gegen einzelne Unternehmen wegen Verstößen gegen Europäisches Wettbewerbsrecht.

Welche Unternehmen betrifft die Sektoruntersuchung?

Die Sektoruntersuchung kann alle Unternehmen betreffen, die im grenzüberschreitenden elektronischen Handel mit Waren, digitalen Inhalten und Dienstleistungen in der EU tätig sind. Dazu zählen u. a. Hersteller, Groß- und Einzelhändler von Waren; Betreiber von Online-Marktplätzen, Buchungsplattformen, Suchmaschinen und Preisvergleichsseiten; Content-Inhaber (z.

B. Rundfunkunternehmen) und Streaming-Anbieter. Der Schwerpunkt der Sektoruntersuchung soll ausdrücklich dort liegen, wo der E-Commerce schon heute eine wichtige Rolle spielt, namentlich beim Handel mit Elektronik, Bekleidung und Schuhen sowie bei digitalen Medieninhalten.

Welche Geschäftspraktiken stehen im Fokus der Sektoruntersuchung?

Gegenstand der Untersuchung sind von Unternehmen vertraglich oder einseitig errichtete Hürden für den grenzüberschreitenden elektronischen Handel mit Waren, digitalen Inhalten und Dienstleistungen in der EU. Als konkretes Beispiel nennt die Europäische Kommission die Verhinderung des Zugangs zu Internetseiten oder digitalen Inhalten je nach Herkunft des Nutzers (sogenanntes Geoblocking). Anhand bereits laufender und abgeschlossener Verfahren der Europäischen Kommission (z.

B. gegen Mietwagenunternehmen) und der nationalen Wettbewerbsbehörden (z.

B. des Bundeskartellamts gegen Sportartikelhersteller) lassen sich die weiteren Themen mit hoher Wahrscheinlichkeit voraussagen:

  • Gebietsbeschränkungen;
  • völliges Verbot des Online-Vertriebs;
  • Beschränkung des Weiterverkaufs über Online-Marktplätze (z.

    B. Amazon Marketplace oder eBay);
  • Verbot von Einträgen in Preissuchmaschinen oder auf Preisvergleichsseiten;
  • Verbot der Werbung mit der Herstellermarke in Suchmaschinen (z.

    B. mit Google AdWords);
  • Benachteiligung des Online-Vertriebs gegenüber dem stationären Handel (z.

    B. bei Rabatten oder Liefermengen);
  • Preisdifferenzierung anhand der Herkunft eines Nutzers;
  • Preisbindung der zweiten Hand;
  • Bestpreisklauseln.



Die genannten Geschäftspraktiken sollten stets kartellrechtlich geprüft werden. Sie sind aber nicht immer kartellrechtlich untersagt. Vielmehr ist in jedem Einzelfall zu untersuchen, ob die konkrete Maßnahme nach der Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen freigestellt oder sonst gerechtfertigt ist (z.

B. Schutz vor Trittbrettfahrern, lizenzvertragliche Gründe).

Was werden die nächsten Schritte der Sektoruntersuchung sein?

Zunächst wird die Europäische Kommission in den kommenden Wochen Auskunftsverlangen an Unternehmen und Verbände verschicken. Sie hat bereits angekündigt, sich in jedem EU-Mitgliedstaat an eine große Zahl von Marktteilnehmern aller Handelsstufen wenden zu wollen. Die weiteren Schritte stehen noch nicht fest – sie hängen vom Ergebnis der Auswertung der Antworten ab. Die Europäische Kommission plant Mitte 2016 einen vorläufigen Bericht zu veröffentlichen und anschließend Stellungnahmen einzuholen. Den abschließenden Bericht will sie im ersten Quartal 2017 veröffentlichen. Damit orientiert sie sich an früheren Sektoruntersuchungen, die überwiegend circa eineinhalb Jahre dauerten.

Was haben die betroffenen Unternehmen zu befürchten?

Zu den Ermittlungsbefugnissen der Europäischen Kommission zählen verpflichtende Auskünfte, Befragungen und der Zugriff auf Geschäftsunterlagen und IT-Daten. Anders als in frühen Sektoruntersuchungen setzt die Europäische Kommission inzwischen nicht mehr nur auf die freiwillige Mithilfe der betroffenen Unternehmen: So führte sie beispielsweise eineinhalb Jahre nach Beginn ihrer Untersuchung der Konditionen für Mobilfunkroaming unangekündigte Nachprüfungen, also Durchsuchungen, durch. Vor allem kann die Europäische Kommission jederzeit während und nach der Sektoruntersuchung ein Bußgeldverfahren einleiten, wenn sie Unternehmen eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV oder Art. 102

AEUV verdächtigt (wie z.

B. nach ihrer Sektoruntersuchung zu Humanarzneimitteln).

Wie sollten Unternehmen auf die Sektoruntersuchung reagieren?

Im E-Commerce tätige Unternehmen sollten den Behörden zuvor kommen und die Gelegenheit nutzen, um ihre Vertriebsverträge und -strukturen kartellrechtlich prüfen zu lassen. Unternehmen, von denen die Europäische Kommission voraussichtlich Auskunft fordern wird, sollten Vorbereitungen treffen, um die tiefgehenden Fragen kurzfristig beantworten zu können. Unternehmen, die bereits von der Europäischen Kommission angeschrieben wurden, sollten die Richtigkeit und Vollständigkeit ihrer Angaben sehr sorgfältig prüfen, um Sanktionen zu vermeiden. Alle im E-Commerce tätigen Unternehmen müssen jedenfalls mit einem erheblich erhöhten Entdeckungsrisiko für Wettbewerbsverstöße rechnen und bei horizontalen Absprachen auch von Kronzeugenanträgen der Wettbewerber.

Bei Fragen zu diesem Thema kontaktieren Sie bitte: Christoph Heinrich

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