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OLG München entscheidet zweimal über AGB in Lieferverträgen mit Sonderkunden

Die Frage der Rechtmäßigkeit von AGB in Lieferverträgen mit Sonderkunden ist ein Dauerthema. Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an die Vereinbarkeit mit den §§ 305 ff. BGB stellt, sind hoch. Einen Anhaltspunkt, ob AGB (un-)vertretbar sind, boten aufgrund ihrer „Leitbildfunktion“ bislang die Strom- und die Gasgrundversorgungsverordnung („Strom- und GasGVV“). Für Preisänderungsklauseln gilt dies bereits seit dem Urteil des BGH vom 31. Juli 2013 nicht mehr. Da der EuGH anderer Auffassung war, musste der BGH seine langjährige Rechtsprechung aufgeben, nach der mit § 4 Abs. 2 AVBEltV/AVBGasV bzw. § 5 Abs. 2 StromGVV / GasGVV identische Preisänderungsklauseln mit § 307 Abs. 1 BGB vereinbar seien. Das OLG München hatte nun in zwei Fällen Gelegenheit, die neue höchstrichterliche Rechtsprechung zu konkretisieren.

1. § 19 Abs. 2 und 3 StromGVV kommt keine Leitbildfunktion zu

In dem ersten Fall hatte der 6. Zivilsenat des OLG München darüber zu entscheiden, ob eine Klausel in Sonderkunden-AGB deshalb gegen § 307 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB verstößt, weil sie der StromGVV widerspricht.

a) Sachverhalt

Die Parteien stritten im Rahmen eines wettbewerblichen Unterlassungsverfahrens um die Wirksamkeit folgender Klausel in den Sonderkunden-AGB der Beklagten:

„Bei anderen Zuwiderhandlungen, insbesondere bei der Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung oder Nichtleistung einer Sicherheit trotz Mahnung, ist der Versorger berechtigt, die Versorgung vier Wochen nach Androhung unterbrechen zu lassen […].“

Die Klägerin monierte, dass die Klausel entgegen § 19 Abs. 2 Satz 4 und Abs. 3 StromGVV keinen Zahlungsrückstand des Kunden von mindestens EUR 100,00 voraussetze und nicht vorsehe, dass dem Kunden eine Versorgungsunterbrechung noch einmal drei Tage zuvor anzukündigen ist.

b) Entscheidung des 6. Zivilsenats

Das OLG München teilte – wie bereits erstinstanzlich das LG Traunstein – diese Auffassung nicht. Es lehnte eine Leitbildfunktion der StromGVV bereits aus dogmatischen Gründen ab. Die Anforderungen an Stromlieferverträge außerhalb der Grundversorgung seien in § 41 des Energiewirtschaftsgesetzes („EnWG”) geregelt, der bezüglich der Zulässigkeit einer Versorgungsunterbrechung indes keine Vorgaben enthalte. Von der Verordnungsermächtigung in § 41 Abs. 5 EnWG und damit der Möglichkeit konkretisierender Regelungen, habe der Verordnungsgeber bislang keinen Gebrauch gemacht. Daneben zog das OLG München hilfsweise die Begründung der sogenannten Transparenzverordnung heran.

Mit der Transparenzverordnung erweiterte der Verordnungsgeber die Anforderungen in der Strom- und in der GasGVV an die Ausweisung der einzelnen Bestandteile des Grundversorgungspreises und an die Begründung von Preisänderungen. Das OLG München stützte sich dabei insbesondere auf die Aussage in der Verordnungsbegründung, dass die

Vertragsbedingungen außerhalb der Grundversorgung […] im Rahmen des geltenden allgemeinen Rechts privatautonom gestaltbar [sind] und […] nur in eingeschränktem Maße energiewirtschaftlichem Sonderrecht [unterliegen].

Dies, so das OLG München, bestätige seine auf den dogmatischen Erwägungen beruhende Auffassung, dass die StromGVV für Stromlieferverträge außerhalb der Grundversorgung keine Leitbildwirkung entfalte.

Als Leitbild sah das OLG München die §§ 320 ff. BGB. Mit einer Versorgungsunterbrechung übe das Versorgungsunternehmen sein Leistungsverweigerungsrecht nach § 320 BGB aus. Dies zugrunde gelegt, bedürfe es keines Mindestzahlungsrückstands und auch keiner erneuten Ankündigung der Versorgungsunterbrechung. Schließlich sei die Beklagte nach derselben Klausel in den Sonderkunden-AGB verpflichtet, bei einer Versorgungsunterbrechung den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Da eine Versorgungsunterbrechung vier Wochen zuvor angekündigt werden müsse, könne der Kunde – anders als von der Klägerin eingewendet – von einer Versorgungsunterbrechung auch nicht überrascht werden.

2. Preisanpassungsklausel muss auf § 315 Abs. 3 BGB hinweisen

In dem zweiten Fall ging es für den 29. Zivilsenat des OLG München um die Frage, ob das Versorgungsunternehmen seine Sonderkunden in der Preisanpassungsklausel ausdrücklich darauf hinweisen muss, dass die Preisanpassung nach § 315 Abs. 3 BGB gerichtlich überprüfbar ist.

a) Sachverhalt

Auch hier stritten die Parteien im Rahmen eines wettbewerblichen Unterlassungsverfahrens um die Wirksamkeit einer für Sonderkunden geltenden Klausel. Die Klägerin sah die Kunden der Beklagten dadurch unangemessen benachteiligt, dass in der Preisanpassungsklausel zwar darauf hingewiesen wurde, dass Preisänderungen auf der Grundlage billigen Ermessens nach § 315 BGB erfolgen. Ein Hinweis auf die gerichtliche Überprüfbarkeit der Ausübung des billigen Ermessens gemäß § 315 Abs. 3 BGB fehlte jedoch.

b) Entscheidung des 29. Zivilsenats

Diesmal folgte das OLG München der Klägerin. Der BGH habe in seinem – bereits oben angesprochenen – Urteil vom 31. Juli 2013 entschieden, dass trotz eines Hinweises auf die Ausübung billigen Ermessens nach § 315 BGB bei Preisänderungen die Rechtslage irreführend dargestellt werde, wenn nicht zugleich ein Hinweis auf die Möglichkeit einer Billigkeitskontrolle gemäß § 315 Abs. 3 BGB erfolge. Das OLG München sah zwar den ausdrücklichen Hinweis auf § 315 BGB in der Preisanpassungsklausel der Beklagten. Daraus sei für den „typischerweise juristisch nicht vorgebildeten Kunden“ allerdings nicht ersichtlich, dass § 315 Abs. 3 BGB die gerichtliche Überprüfung der Ausübung des billigen Ermessens vorsehe. Hinzu komme, dass auf das den Kunden bei einer Preisanpassung zustehende außerordentliche Kündigungsrecht ausdrücklich hingewiesen werde. Die Kunden könnten deshalb umso mehr den Eindruck gewinnen, außer der Kündigung keine andere Möglichkeit zu haben, auf die Preisanpassung zu reagieren.

3. Fazit

Die Entscheidung des 6. Zivilsenats ist zu begrüßen. Sie berücksichtigt, dass die Strom- und die GasGVV nicht unbesehen für alle Arten von Lieferverträgen gelten, sondern einen Ausgleich der Interessen von Versorgungsunternehmen und Grundversorgungskunden enthalten. Insbesondere bei Lieferverträgen mit größeren Gewerbekunden sind schon wieder andere Interessen zu berücksichtigen und miteinander in Einklang zu bringen. Dies bedeutet nicht, dass die Strom- und die GasGVV bei der Gestaltung von Lieferverträgen mit Sonderkunden überhaupt nicht mehr zu berücksichtigen sind. Es bedarf allerdings einer Einzelfallprüfung. Ohne dies zu erwähnen, führt das OLG München damit die neue Rechtsprechung des BGH fort und konkretisiert diese zumindest ein wenig.

Mit seiner Entscheidung setzt sich der 29. Zivilsenat – wie er selbst ausführt – zu anderslautenden Entscheidungen des OLG Karlsruhe 16 und des OLG Naumburg in Widerspruch. Dies ist angesichts der Rechtsprechung des BGH nachvollziehbar. In der Sache kann dem dagegen nicht gefolgt werden. Auch ein juristisch nicht vorgebildeter Verbraucher weiß zumindest grundsätzlich, dass er – unabhängig von der konkreten Sache – Rechtsschutz in Anspruch nehmen kann. Insbesondere da es sich nicht um eine „abseitige“ Rechts- und Vertragsmaterie handelt, ist es dem Verbraucher zuzumuten, sich gegebenenfalls rudimentär näher über seine Möglichkeiten zu informieren. Daher bleibt es fraglich, warum es bei Energielieferverträgen eines konkreten Hinweises im Sinne einer Rechtsbehelfsbelehrung bedürfen soll, die dem Zivilrecht im Übrigen grundsätzlich fremd ist.

Bei Fragen zum Thema kontaktieren Sie bitte: Dr. Reinald Günther

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