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No fishing! – Grenzen kartellbehördlicher Durchsuchungsbefugnisse

EuGH, Urteil vom 18.06.2015 – Deutsche Bahn u.

a./Kommission


Praxishinweis

Kartellbußgeldverfahren beginnen regelmäßig mit einem „lauten Knall“: Dawn Raids finden statt. Beamte der EU-Kommission und/oder des Bundeskartellamts durchsuchen die Geschäftsräume der betroffenen Unternehmen und häufig auch Privatwohnungen nach Beweisen für einen Kartellverstoß. Sie nutzen dabei den Überraschungseffekt und oft auch die Unsicherheit der betroffenen Unternehmen darüber, wie weit die kartellbehördlichen Ermittlungsbefugnisse reichen. Der EuGH hat ihnen jetzt eine klare Grenze gesetzt: Die gezielte Suche nach nicht vom Durchsuchungsbeschluss erfassten „Zufallsfunden“ ist unzulässig! Daraus ergibt sich ein Handlungsgebot für den Durchsuchungsfall. Widersprechen Sie oder Ihre kartellrechtlichen Verteidiger – selbst wenn Sie in der Sache(!) kooperieren – grundsätzlich jeder Suchmaßnahme der Kartellbeamten, die nicht vom Durchsuchungsgegenstand erfasst sind, wie er sich aus dem Durchsuchungsbeschluss ergibt.

Sachverhalt

Bedienstete der EU-Kommission durchsuchten die Geschäftsräume der Deutschen Bahn. Aus dem Durchsuchungsbeschluss ergab sich, dass die kartellbehördliche Nachprüfung wegen des Verdachts einer kartellrechtswidrigen Bevorzugung von Konzerntöchtern beim Bezug von Bahnstrom stattfand. Kurz vor Beginn der Durchsuchung waren die Durchsuchungsbeamten von der EU-Kommission informiert worden, dass gegen die Deutsche Bahn eine weitere Beschwerde vorliegt, der zufolge eine Bahntochtergesellschaft ihren Mitbewerbern den Zugang zu Infrastruktureinrichtungen (u.

a. DB Terminals) in kartellrechtswidriger Weise erschwert hat. Die Deutsche Bahn rügte die Rechtswidrigkeit dieser informellen Vorabinformation. Durch sie sei bewusst das Risiko geschaffen worden, dass die Ermittlungsbeamten ihr Augenmerk bei der Durchsuchung auch auf Dokumente zum zweiten Tatkomplex richten, obwohl diese Dokumente außerhalb des Durchsuchungsbeschlusses lägen.

Entscheidung

Der EuGH erklärt die vorherige Information der Ermittlungsbeamten über die weitere, außerhalb des Durchsuchungsbeschlusses liegende Kartellbeschwerde für rechtswidrig. Zwar müsse die EU-Kommission die mit der Durchsuchung beauftragten Beamten vor Beginn der Nachprüfung so informieren, dass diese das Wesen und den Umfang der etwaigen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln verstehen können. Diese Informationen dürfen sich allerdings „allein auf den Gegenstand der Nachprüfung beziehen“, die durch den Dursuchungsbeschluss angeordnet worden ist. Die Rechtswidrigkeit der Vorabinformation führt zu einem Verwertungsverbot. Anlässlich der Durchsuchung beschlagnahmte Unterlagen, die nicht den Durchsuchungsgegenstand, sondern die weitere Kartellbeschwerde betreffen, dürfen nach Art.

28 Abs.

1 VO (EG) Nr.

1/2003 nicht zu Lasten der betroffenen Unternehmen in einem weiteren Kartellbußgeldverfahren gegen sie verwendet werden.

Bewertung

Der EuGH setzt kartellbehördlichen Durchsuchungen eine klare Grenze. Ausforschungsaufträge zu sog. fishing expeditions sind rechtsstaatswidrig und damit unzulässig. Sie verletzen die Verteidigungsrechte der betroffenen Unternehmen. Hat die EU-Kommission Hinweise, die den Anfangsverdacht für einen weiteren Kartellverstoß begründen, hat sie den Durchsuchungsbeschluss um diesen Anfangsverdacht zu erweitern. Unterlässt sie dies oder genügen die Hinweise nicht, um einen hinreichenden Anfangsverdacht zu begründen, und informiert die EU-Kommission ihre Beamten dennoch informell über die weiteren Verdachtsmomente, überschreitet sie die Grenze des verfahrensrechtlich Zulässigen. Werden infolge dieser Vorabinformation Unterlagen beschlagnahmt, auf die sich der Durchsuchungsbeschluss nicht erstreckt, sind sie in einem weiteren Kartellbußgeldverfahren nicht zu Lasten der betroffenen Unternehmen verwertbar. Denn verwertet werden dürfen nur außerhalb des Durchsuchungsbeschlusses liegende Unterlagen, die als sog. Zufallsfunde bei Gelegenheit der Durchsuchung gefunden wurden. An Zufallsfunden fehlt es aber, wenn die Ermittlungsbeamten vorab gezielt über weitere Verdachtsmomente gegen das durchsuchte Unternehmen informiert wurden. Wie der Generalanwalt beim EuGH richtig ausführt, besteht dann kein Unterschied zu einem Fall, in dem die EU-Kommission ohne einen gültigen Beschluss durchsucht.

Die Grundsätze der EuGH-Entscheidung gelten nicht für das europäische, sondern auch für das deutsche Kartellordnungswidrigkeitenrecht. Auch hier begrenzt der gerichtliche Durchsuchungsbeschluss den Durchsuchungsgegenstand. Die gezielte Suche nach Dokumenten, die außerhalb des Durchsuchungsbeschlusses liegen, ist unzulässig. Einer solchen Durchsuchungsmaßnahme sollen Unternehmen widersprechen. Dies gilt selbst dann, wenn sie im Rahmen der kartellrechtlichen Kronzeugenregelung mit dem Bundeskartellamt kooperieren. Denn eine Kooperationspflicht begründet die Kronzeugenregelung nur für zulässige Ermittlungsmaßnahmen des Bundeskartellamts. Die gezielte Suche nach Zufallsfunden ist jedoch unzulässig.

Bei Fragen zum Thema kontaktieren Sie bitte: Dr. Christian Heinichen

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