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Neues deutsches Kartellrecht ab heute in Kraft

Die neunte Novelle des GWB wurde gestern verkündet und gilt damit ab dem 9. Juni 2017. Anlass ist die EU-Kartellschadensersatzrichtlinie: Kartellgeschädigte sollen ihre Schadensersatzansprüche leichter durchsetzen können. Sie profitieren künftig von speziellen Haftungs- und Verfahrensregelungen. Bei dieser Gelegenheit hat sich der Gesetzgeber auch vieler anderer drängender Themen angenommen. Das ändert sich im Einzelnen:

Digitalwirtschaft

Missbrauchskontrolle bei mehrseitigen Märkten Die Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen wird an die fortschreitende Digitalisierung der Märkte angepasst: Bei der Bewertung der Marktstellung eines Unternehmens sollen künftig unter anderem Netzwerkeffekte, der Zugang zu Daten und innovationsgetriebener Wettbewerbsdruck berücksichtigt werden.

Missbrauchskontrolle bei unentgeltlichen Leistungen Auch im Fall unentgeltlicher Leistungsbeziehungen, z. B. bei sozialen Netzwerken oder anderen Plattformen, kann ein Markt im kartellrechtlichen Sinne vorliegen.

Sektoruntersuchungen für den Verbraucherschutz Das Bundeskartellamt darf künftig Sektoruntersuchungen einleiten, um erhebliche, dauerhafte oder wiederholte Verstöße gegen verbraucherrechtliche Vorschriften (z. B. in AGB) zu verfolgen. Wenngleich die Befugnis für massenhafte Rechtsverstöße in der Digitalwirtschaft gedacht ist, kann sie auch in anderen Wirtschaftszweigen eingesetzt werden.

Medien

Pressekooperationen erleichtert Die verlagswirtschaftliche Zusammenarbeit von Presseunternehmen außerhalb des redaktionellen Bereichs ist nun von der Anwendung des deutschen Kartellverbots ausgenommen. Das ermöglicht kartellfreie Kooperationen von Regionalmedien, insbesondere im Anzeigen- und Werbegeschäft, im Vertrieb sowie in der Herstellung und Zustellung von Presseerzeugnissen. Pressekooperationen unterliegen nach wie vor der Fusionskontrolle.

Rundfunkfusionen erleichtert Kleinere Fusionen von Hörfunk- und Fernsehunternehmen werden erleichtert, weil für die Anmeldepflichten künftig ein Umsatzmultiplikator von acht gilt (statt bisher 20).

Handel

„Anzapfverbot“ konkretisiert Marktmächtige Unternehmen dürfen andere Unternehmen nicht auffordern, ihnen ohne sachlichen Grund Vorteile zu gewähren. Künftig ist stärker zu berücksichtigen, ob die Forderung nachvollziehbar begründet ist und in einem angemessenen Verhältnis zum Anlass steht. Hintergrund ist der Beschluss des OLG Düsseldorf zu „Hochzeitsrabatten“ beim Zusammenschluss von EDEKA und Netto.

Verkauf unter Einstandspreis von Lebensmitteln bleibt verboten Das Verbot des Verkaufs von Lebensmittel unter Einstandspreis gilt dauerhaft fort; es wäre sonst 2017 ausgelaufen. Zugleich wird der Begriff des Einstandspreises gesetzlich definiert, um klarzustellen, wie Rabatte angerechnet werden.

Energiewirtschaft

Die besonderen Marktmissbrauchsregeln mit einer teilweisen Beweislastumkehr werden bis 2022 verlängert. Die Regeln werden aber nicht wie vom Bundesrat gefordert auf Fernwärme ausgedehnt.

Fusionskontrolle

Neue Aufgreifschwelle Zusammenschlussvorhaben sind künftig beim Bundeskartellamt anzumelden, wenn zwar die zweite Inlandsumsatzschwelle von EUR 5 Millionen nicht überschritten wird, aber der Wert der Gegenleistung für den Zusammenschluss mehr als EUR 400 Millionen beträgt und das zu erwerbende Unternehmen in erheblichem Umfang in Deutschland tätig ist. Eine ähnliche, niedrigere Anmeldeschwelle soll ab November auch in Österreich gelten.

Klareres Ministererlaubnisverfahren Für das Ministererlaubnisverfahren gilt künftig eine Höchstfrist von sechs Monaten (mit Verlängerungsoption). Das Bundeswirtschaftsministerium erlässt Leitlinien, um das Verfahren zu ordnen. Andere Unternehmen dürfen gegen eine Ministererlaubnis nur noch vorgehen, wenn sie in ihren eigenen Rechten verletzt sind. Anlass waren hier die Erfahrungen in der Sache EDEKA/Tengelmann.

Kartellbußgelder

Konzernhaftung Zukünftig erstreckt sich die bußgeldrechtliche Verantwortung für den Kartellverstoß einer Tochtergesellschaft direkt auf die Konzernmutter, wenn Mutter- und Tochtergesellschaft im Zeitpunkt der Zuwiderhandlung eine wirtschaftliche Einheit bildeten. Dies ist bei 100-prozentigen Tochtergesellschaften grundsätzlich und bei Gemeinschaftsunternehmen häufig der Fall ist. Mutter- und Tochtergesellschaft haften gesamtschuldnerisch. (Weitere Details dazu können Sie dem Blogbeitrag von Herrn Dr. Christian Heinichen entnehmen.)

Schließung der „Wurstlücke“ Unternehmen soll es nicht länger möglich sein, sich durch gezielte Umstrukturierung einer drohenden Geldbuße zu entziehen. Dazu wird eine Haftung des Gesamtrechtsnachfolgers, eine Haftung des wirtschaftlichen Nachfolgers und – für den Übergangszeitraum – eine Ausfallhaftung angeordnet. (Weitere Details dazu können Sie dem Blogbeitrag von Herrn Dr. Christian Heinichen entnehmen.)

Kartellschadensersatz

Schadensvermutung für Kartelle Es wird widerleglich vermutet, dass ein Kartell einen Schaden verursacht. Die Vermutung gilt für die Schadensentstehung und die Ursächlichkeit des Kartellverstoßes. Für die oft schwierigen Nachweise der eigenen Betroffenheit vom Kartell und der Schadenshöhe bringt die Vermutung dagegen keine Erleichterung.

Einwand und Vermutung der Schadensabwälzung Der sog. passing-on-Einwand wird bestätigt. Zugunsten des mittelbaren Abnehmers wird vermutet, dass der kartellbedingte Preisaufschlag auf die mittelbaren Abnehmer abgewälzt wurde.

Haftungsverteilung Jeder Kartellgesamtschuldner haftet im Innenverhältnis nach seinem Beitrag zur Schadensverursachung. Der Kronzeuge soll grundsätzlich nur seinen Abnehmern auf Schadensersatz haften. Auch kleine und mittlere Unternehmen mit geringem Marktanteil haften für erstmalige Kartellverstöße nur ihren eigenen Abnehmern auf Schadensersatz, wenn sonst ihre wirtschaftliche Lebensfähigkeit gefährdet wäre.

Vergleiche Vergleicht sich ein Kartellant über den Kartellschadensersatzanspruch, so kann der Vergleich auch gegenüber den anderen Gesamtschuldnern wirken.

Verjährung Die kenntnisabhängige Verjährungsfrist wird von drei auf fünf Jahre verlängert. Die kenntnisunabhängige Verjährungshöchstfrist beträgt zehn Jahre ab Anspruchsentstehung und Beendigung des Kartellverstoßes und 30 Jahre ab Vornahme der schädigenden Handlung. Regressansprüche werden gegen vorzeitige Verjährung geschützt.

„Discovery light“ Der Referentenentwurf sieht für Kartellgeschädigte wie auch für Kartellanten einen Anspruch auf Auskunft und Herausgabe von Beweismitteln gegenüber der anderen Partei oder Dritten vor. Die gewünschten Informationen müssen so genau wie möglich bezeichnet werden. Das Gericht nimmt dann eine Interessenabwägung vor. Von vorneherein ausgeschlossen ist die Herausgabe von Kronzeugenerklärungen und Vergleichsausführungen.

Kosten der Nebenintervention Das Kostenrisiko von Kartellschadensersatzklägern wird begrenzt, indem der Streitwert bei mehreren Nebeninterventionen gekappt wird.

Wenn Sie Fragen zu diesem Thema haben, wenden Sie sich bitte an Herrn

Christoph Heinrich.

Zusätzliche relevante Informationen zur 9. GWB-Novelle finden Sie in unseren weiteren Blogbeiträgen: Übersicht aller BB-Blogbeiträge zur 9. GWB-Novelle.

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