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Manipulierte Pfandauszahlung – Zufallsfund bei verdeckter Mitarbeiterüberwachung

Bundesarbeitsgericht vom 22. September 2016 – 2 AZR 848/15

Sachverhalt

Ein Supermarkt hatte in der Vergangenheit dramatische Inventurverluste im Bereich Tabak/Zigaretten zu verzeichnen. Sämtliche Ermittlungen zur Überführung des/der Täter/s blieben erfolglos. Der Verdacht verdichtete sich auf zwei Kassiererinnen. Als letztes Mittel zur Aufklärung führte der Supermarkt eine verdeckte Videoüberwachung des Kassenbereichs für einen Zeitraum von 14 Tagen durch. Sie erfolgte unter Zustimmung des Betriebsrats. Die Auswertung der Videoaufzeichnungen ergab zufälligerweise, dass die stellvertretende Filialleiterin und Kassiererin dabei gefilmt wurde, wie sie mehrmals eine „Musterpfandflasche“ einscannte und so einen Bon im Gegenwert von 3,25 EUR generierte. Im Anschluss öffnete sie die Kasse und entnahm den entsprechenden Geldbetrag. Daraufhin kündigte der Supermarkt ihr außerordentlich. Die Mitarbeiterin klagte gegen die Kündigung und berief sich auf ein Beweisverwertungsverbot wegen Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts.

Die Entscheidung

Das BAG wies die Klage zurück und entschied, dass kein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der Videoaufnahmen bestand. Der zufällig im Rahmen der verdeckten Videoüberwachung aufgedeckte Sachverhalt konnte im Kündigungsschutzprozess verwertet werden. Und zwar auch, obwohl die begangene Tat (Manipulation der Kasse) der gekündigten Mitarbeiterin nicht der Anlass für die verdeckte Videoüberwachung war. Dies war bislang durchaus nicht unumstritten, da vielfach vertreten wurde, dass die Ergebnisse einer Videoüberwachung nur im Rahmen des ursprünglich vorgesehen Zwecks verwendet werden dürfen. Die Besonderheit lag im vorliegenden Fall darin, dass die verdeckte Videoüberwachung zur Aufklärung der Inventurverluste im Bereich Tabak/Zigaretten unter datenschutzrechtlichen Aspekten zulässig war. Daher waren auch die unvermeidbaren Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte aller mitbetroffenen Arbeitnehmer durch den Aufklärungszweck gerechtfertigt. Die dabei zufälligerweise aufgedeckte Manipulation der Kasse durch die Arbeitnehmerin unterlag nach Ansicht des BAG keinem Beweisverwertungsverbot.

Weiter entschied das Gericht, dass die Manipulation eines Kassenvorgangs zum Zweck der eigenen Bereicherung ein wichtiger Kündigungsgrund ist, der eine außerordentliche fristlose Kündigung rechtfertigt. Dies gilt trotz des geringen Schadens von lediglich 3,25 EUR. Der Vertrauensbruch wog aufgrund der Funktion als stellvertretende Filialleiterin und Kassiererin, die mit Geldangelegenheiten ihres Arbeitgebers betraut war, besonders schwer.

Konsequenzen für die Praxis

Das Urteil ist in zweifacher Hinsicht interessant: zum einen in Bezug auf die Verwertung sämtlicher, auch der unerwarteten Ergebnisse der verdeckten Videoüberwachung und zum anderen in Bezug auf die Bedeutung der geringen Schadenshöhe. Inhaltlich erinnert der Sachverhalt an den Fall der Kassiererin „Emmely“ (BAG vom 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09), in dem es ebenfalls um die außerordentliche Kündigung bei einer geringen Schadenshöhe ging. Im Ergebnis hielt das BAG in der Emmely-Entscheidung die außerordentliche Kündigung für unwirksam. Die aktuelle Entscheidung zeigt, dass auch nach der Emmely-Entscheidung Vermögensdelikte zum Nachteil des Arbeitgebers mit nur geringem Schadensumfang durchaus eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen können.

Praxistipp

Arbeitgeber sollten vor der Durchführung von verdeckten Videoüberwachungen, die einen erheblichen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter darstellen, darauf achten, dass die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür eingehalten sind. Auch nach dem aktuellen Urteil des BAG bleibt die verdeckte Videoüberwachung nur unter strengen Voraussetzungen als „letztes Mittel“ zulässig. Danach muss ein Verdacht auf eine konkrete strafbare Handlung oder andere schwere Verfehlung gegen einen zumindest räumlich und funktional abgrenzbaren Kreis von Arbeitnehmern bestehen. Eine allgemeine Mutmaßung, dass Straftaten begangen werden könnten, genügt hierfür nicht. Zudem müssen alle anderen zumutbaren Aufklärungsmaßnahmen bereits durchgeführt worden sein.

Wenn Sie Fragen zu diesem Thema haben, kontaktieren Sie bitte Frau Dr. Michaela Felisiak.

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