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C 413/14 P - Intel vs. Kommission

Intel vor Gericht – ein Etappensieg für das Unternehmen und mehr Arbeit für die Berater und Gerichte

I. Einführung

Nach fast siebzehn Jahren Auseinandersetzung um und mit Rabatten beschert der Gerichtshof dem Chip-Hersteller Intel einen Etappensieg gegen die Kommissionsentscheidung vom 13. Mai 20091 sowie den Beratern und Gerichten mehr Arbeit: Bei Treuerabatten im Sinne der Hoffmann-La-Roche-Rechtsprechung, d.h. Ausschließlichkeitsrabatten, muss nun die Kommission dem marktbeherrschenden Unternehmen nachwiesen, dass die Rabatte tatsächlich geeignet sind, den Wettbewerb zu beschränken2.

Bisher wurden diese Rabatte als per se wettbewerbsbeschränkend angesehen, sofern sie nicht objektiv gerechtfertigt werden konnten, ohne im Einzelfall zu prüfen, ob sie eine potenzielle Verdrängungswirkung haben.3 Zwar untersucht die Kommission in ihrer Praxis auch die Wettbewerbsbeschränkung4, aber das Gericht hat die Nachprüfung der Kommissionsentscheidung in seinem nun aufgehobenen Urteil vom 12. Juni 20145 im Wesentlichen auf das Vorliegen des per se Wettbewerbsverstoßes reduziert und ist auf die Eignung der Treuerabatte zur Wettbewerbsbeschränkung nur hilfsweise und nicht im Einzelnen eingegangen6.

Der Gerichtshof hat die Grenzen für die Treuerabatte eines marktbeherrschenden Unternehmens nicht neu bestimmt, sondern Unternehmen vielmehr eine Option der Entlastung an die Hand gegeben: Nun kann das Unternehmen versuchen, die potenzielle Verdrängungswirkung seines Verhaltens in Abrede zu stellen. Dies zwingt wiederum die Kommission, einen präzisen Nachweis der Wettbewerbsbeschränkung zu führen und veranlasst schließlich das Gericht, diese Beweisführung zu kontrollieren.

In laufenden und künftigen Verfahren wird die Kommission die Untersuchung und den Nachweis der tatsächlichen Wettbewerbsbeschränkung intensivieren. Intel dürfte es im wiederaufzunehmenden Verfahren vor dem Gericht dennoch schwerfallen, die Kommissionsentscheidung umzustoßen. Der die sogenannten „reinen Beschränkungen“ (im englischen ‘naked restrictions’ und im französischen "restrictions non déguisées" genannt) betreffende Teil der Kommissionsentscheidung ist bestandskräftig. Die reinen Beschränkungen bestehen in Zahlungen, dafür dass die Produkte des Konkurrenten verzögert auf den Markt kommen und deren Vertrieb beschränkt wurde. Sie sie werden (zusammen mit den Treuerabatten) als ein Teil einer einzigen Zuwiderhandlung gegen das Missbrauchsverbot angesehen.

Im Streit befinden sich hingegen die Einzelheiten der von der Kommission zusätzlich durchgeführten detaillierten Untersuchung der potentiellen Verdrängungswirkung, welche das Gericht hilfsweise, wenn auch eher kursorisch, prüfte. Der Gerichtshof urteilte hingegen, das Gericht habe das gesamte Vorbringen des Klägers zu prüfen, wenn dieser im Verwaltungsverfahren, gestützt auf Beweise, geltend mache, sein Verhalten sei nicht geeignet gewesen, den Wettbewerb zu beschränken und insbesondere die Verdrängungswirkung zu erzeugen. Dabei geht es vordergründig um den Test, ob die Rabatte einen ebenso effizienten Wettbewerber vom Markt hätten verdrängen können (benutzt wird die Abkürzung für dessen englische Bezeichnung, as efficient competitor test, AEC-Test). Das Gericht befand, dass dieser Test nicht erforderlich sei. Darüber hinaus dürften auch die anderen Bestandteile des Vorwurfs überprüft werden. Gemessen daran, dass das Gericht bereits hilfsweise die potentielle Verdrängungswirkung bejaht hat, könnte sich das Urteil des Gerichtshofes als bloßer Etappensieg für Intel herausstellen, der zu einer kostspieligen Wiederaufnahme des Verfahrens ohne finales Obsiegen führt.

II. Zusammenfassung des Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens

Nach acht Jahren Untersuchung verhängte die Europäische Kommission am 13. Mai 20097 gegen Intel die bis dahin höchste europäische Kartellbuße in Höhe von 1,06 Milliarden Euro. Dies wurde damit begründet, dass Intel seine beherrschende Stellung auf dem Markt für x86-Prozessoren unter Verletzung der Wettbewerbsregeln des EG-Vertrages und des EWR-Abkommens missbräuchlich ausgenutzt habe.

Intel habe vier Computerherstellern – Dell, Lenovo, HP und NEC – bedingte Rabatte unter der Voraussetzung gewährt, dass sie von Intel nahezu alle x86-Prozessoren bezögen. Außerdem habe Intel Zahlungen unter der Bedingung an den Elektronikhändler Media-Saturn geleistet, dass dieser nur Computer mit x86-Prozessoren von Intel verkaufe. Die Rabatte und Zahlungen haben nach Auffassung der Wettbewerbshüter die Treue der Hersteller und von Media-Saturn sichergestellt und dadurch die Wettbewerbsfähigkeit der Konkurrenz erheblich verringert. Intel könne sein Verhalten nicht objektiv rechtfertigen.8

Neben den Treuerabatten habe Intel mit reinen Beschränkungen die Einführung der Produkte seines Wettbewerbers auf den Markt verzögert und deren Vertrieb beschränkt. Dies geschah durch Zahlungen an große OEMs, die sich in verpflichteten, Intels Wettbewerber zu behindern.9

Alle Verhaltensweisen (Treuerabatte und reine Beschränkungen) seien Teil einer einzigen Strategie mit dem Ziel, den Wettbewerber vom Markt für bestimmte Computerhauptprozessoren auszuschließen.10

Die gegen die Entscheidung von Intel eingelegte Klage wies das Gericht am 12. Juni 2014 in vollem Umfang ab und bestätigte die von der Europäischen Kommission verhängte Geldbuße.

Insbesondere führte das Gericht aus, die Einstufung von Treuerabatten als missbräuchlich setze keine Einzelfallprüfung voraus, ob die Rabatte geeignet seien, den Wettbewerb zu beschränken. Vielmehr habe die Kommission hinreichend nachgewiesen, dass Intel versucht habe, die Wettbewerbswidrigkeit ihrer Verhaltensweisen zu verschleiern und AMD den Zugang zu den genannten Vertriebskanälen zu versperren. Es handele sich daher um einen sogenannten Per-se-Verstoß.

Nach dem Urteil des Gerichtshofes muss der Prozess gegen den amerikanischen Chiphersteller neu aufgerollt werden.

Der Europäische Gerichtshof hob das ergangene Urteil des Gerichts auf und verwies den Rechtsstreit an das Gericht zurück. Das Gericht wird erneut prüfen, ob die von Intel gewährten Rabatte tatsächlich geeignet waren, den Wettbewerb zu beschränken. Der Gerichtshof führte aus, dass das Gericht bei seiner Prüfung der Eignung der streitigen Rabatte, den Wettbewerb zu beschränken, zu Unrecht das Vorbringen Intels unberücksichtigt gelassen hat, mit dem angebliche Fehler der Kommission im Rahmen des AEC-Tests beanstandet wurden. Diese Analyse soll das Gericht nun nachholen.

Nach Art. 61 Abs. 1 der Satzung des EuGH entscheidet der Gerichtshof im Fall der Aufhebung einer Entscheidung des Gerichts den Rechtsstreit nur dann endgültig, wenn er zur Entscheidung „reif“ ist. Dies war vorliegend noch nicht der Fall, da das Gericht die Einwände Intels zur angeblich fehlenden Eignung der Rabatte, den Wettbewerb zu beschränken, nicht prüfte.

III. Stellungnahme

Der Gerichtshof schreibt, sein Urteil stelle eine Konkretisierung der Rechtsprechung dar. Es ist jedoch eine Abwendung von der bisherigen Rechtsprechung11, die sinnvoll ist. Treuerabatte bleiben prima facie missbräuchlich, allerdings können die betroffenen Unternehmen nunmehr widerlegen, dass diese den Wettbewerb beschränken.

Der Gerichtshof ist dahin zu verstehen, dass wettbewerbswidriges Verhalten bei Treuerabattfällen weiterhin vermutet wird. Es wird also nicht notwendigerweise geprüft, ob Treuerabatte den Wettbewerb tatsächlich beschränken. Wenn das betroffene Unternehmen allerdings belastbare Anhaltspunkte beibringt, dass die vermuteten wettbewerbsbeschränkenden Effekte nicht vorliegen, ist eine Einzelfallprüfung nötig. Dann muss die tatsächliche Verdrängungsfähigkeit überprüft werden.

Damit werden die Voraussetzungen der Art. 101 und Art. 102 AEUV aneinander angepasst. Im Wettbewerbsrecht wurde geklärt, dass sowohl Art. 101 als auch Art. 102 AEUV die Beweislast dem Unternehmen auferlegen.

Der Gerichtshof wirft dem Gericht vor, es hätte eine Prüfung des von der Kommission vorgenommenen AEC-Tests durchführen müssen, da die Kommission zumindest ergänzend auf die tatsächlichen Wirkungen der Rabatte abstellte und diesen Test durchführte. Denn Intel hatte seine Klage auch mit Fehlern begründet, die die Europäische Kommission in Anwendung des Tests begangen habe. Mithin war die genaue Prüfung der tatsächlichen und ökonomischen Effekte notwendig. Das Gericht hatte dagegen nur hilfsweise die den Wettbewerber verdrängenden Effekte geprüft und bejaht, und dabei den AEC-Test als nicht relevant bezeichnet.

Der Gerichtshof hat sich zu Einzelheiten der Voraussetzung der marktbeherrschenden Stellung (wie Ausmaß der beherrschenden Stellung des Unternehmens auf dem maßgeblichen Markt und dem Umfang der Markterfassung durch die beanstandete Praxis sowie den Bedingungen und Modalitäten der Rabattgewährung wie Dauer und Höhe) nicht geäußert. Das mag man bedauern, bleibt jedoch zunächst dem Gericht vorbehalten. Auch bleibt offen, ob das Gericht über die Prüfung der Vorwürfe gegen die Durchführung des AEC-Tests weitere Vorwürfe prüfen wird. Aus dem Rechtsmittelverfahren stehen noch im Raum der zweite, dritte und sechste Rechtsmittelgrund (Rechtsfehler bei der Beurteilung der Markterfassung der Rabatte in den Jahren 2006 und 2007, Bewertung der mit zwei OEM vereinbarten Ausschließlichkeitsrabatte und Herabsetzung der Geldbuße).

Festzuhalten bleibt: Ein Unternehmen mit beherrschender Stellung trägt besondere Verantwortung dafür, durch sein Verhalten – etwa durch Treuerabatte – einen wirksamen Wettbe

werb nicht zu verfälschen. Bei der Prüfung, ob gegen Art. 102 AEUV verstoßen wurde, wird nicht nur der Umfang der Markterfassung und die Modalitäten der Rabattgewährung herangezogen, sondern auch insbesondere das Vorliegen einer eventuellen Strategie zur Verdrängung mindestens ebenso leistungsfähiger Wettbewerber.

Die bisherige Rechtsprechung, von Hoffmann La Roche, Nederlandsche Baden Industrie Michelin, Van den Bergh Foods, Tomra Systems, British Airways sowie Post Danmark gibt weiterhin die Richtung an. Die „Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Artikel 82 des EG-Vertrags auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen“ sowie die ihnen zugrundeliegende Studie erleben eine Renaissance.

Wenn Sie Fragen zu diesem Thema haben, wenden Sie sich bitte an Herrn Dr. Rainer Bierwagen.

[1] Entscheidung der Kommission vom 13. Mai 2009, Sache COMP/C-3/37.990. Die nichtvertrauliche Fassung der 518-seitigen Entscheidung wurde auf der Webseite der Kommission veröffentlicht. Die viereinhalbseitige Zusammenfassung der Entscheidung wurde im Amtsblatt vom 22. September 2009 C 227 Seiten 13 ff. veröffentlicht.

[2] Urteil des Gerichtshofes vom 6. September 2017, ECLI:EU:C:2017:632.

[3] Bei Per-Se-Verstößen wird ein Rechtsbruch angenommen, ohne dass es des präzisen Nachweises bedarf, ob die jeweilige Verhaltensweise tatsächlich nachteilige Effekte auf den Wettbewerb hatte. Diese Beweislastverteilung wäre hier für die Kommission von Vorteil.

[4] Siehe Rn. 924 ff. der Entscheidung. Die Kommission folgt hier ihren „Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Artikel 82 des EG-Vertrags auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen“, veröffentlicht am 24. Februar 2009, ABl. C 45 Seite 7 ff.

[5] Siehe Urteil vom 12. Juni 2014 in der Rechtssache T-286/09, EU :T :2014 :547. Die englischen und französischen Fassungen von 260 Seiten sind im Volltext verfügbar und die anderen Sprachfassungen nur auszugsweise mit jeweils etwa 100 Seiten.

[6] Siehe Rn. 171 und dann die Hilfserwägungen in Rn. 172 – 197 des Urteils.

[7] Siehe oben Fußnote 1.

[8] Zusammenfassung der Entscheidung Rn. 22 ff.

[9] Zusammenfassung der Entscheidung Rn. 37 ff.

[10] Siehe oben Fußnote 5.

[11] Siehe etwa das Urteil vom 6. Oktober 2015 im Vorabentscheidungsersuchen Post Danmark gegen Konkurrencerådet, Rs. C-23/14, ECLI:EU:C:2015:65, Rn. 55 – 57.

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