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Bindung des Gesellschafters an die Feststellungen des steuerlichen Einlagekontos

BFH, Urteil vom 28.01.2015 (I R 70/13, DStR 2015, 1242)

Hintergrund

Wenn eine Gesellschaft an ihre Gesellschafter Ausschüttungen vornimmt, führt dies grundsätzlich dazu, dass beim Gesellschafter Einkünfte aus Kapitalvermögen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG entstehen. Die ausschüttende Gesellschaft hat gem. § 45 a Abs. 1 Satz 1, § 44 Abs. 1 Satz 3 und 5 i. V .m. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG Kapitalertragsteuer einzubehalten, anzumelden und abzuführen.

Ausschüttungen führen jedoch gem. § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 KStG dann nicht zu Einnahmen aus Kapitalvermögen, wenn für die ausgeschütteten Beträge das steuerliche Einlagekonto i. S. des § 27 KStG als verwendet gilt. Gem. § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG gelten die Beträge als aus dem steuerlichen Einlagekonto entnommen, die den auf den Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres ermittelten ausschüttbaren Gewinn übersteigen.

Damit die den Gewinn übersteigenden Ausschüttungen als aus dem steuerlichen Einlagekonto entnommen gelten, müssen allerdings einige Voraussetzungen eingehalten werden. Werden hierbei Fehler gemacht, kann dies dazu führen, dass die Beträge als nicht aus dem steuerlichen Einlagekonto entnommen gelten und voll zu versteuern sind. Dies kann in Extremfällen, wie in dem Urteil des BFH zugrundeliegenden Sachverhalt, dazu führen, dass Kapitalertragsteuer abzuführen ist, obwohl kein Gewinn erzielt wurde. Sofern nicht die Gesellschaft als Haftungsschuldner in Anspruch genommen wird, führt die Bindung des Gesellschafters an die Feststellungen des steuerlichen Einlagekontos dazu, dass – aufgrund des Fehlers, welcher auf Ebene der Gesellschaft geschehen ist – auf Ebene des Gesellschafters Einkünfte aus Kapitalvermögen zu versteuern sind.

Der BFH hält in dem vorliegenden Urteil an seiner Rechtsprechung bezüglich der Bindung des Gesellschafters an die zum steuerlichen Einlagekonto getroffenen Feststellungen fest. Der BFH verstärkt diese Bindung sogar noch, indem er Änderungen der bezüglich des steuerlichen Einlagekontos getroffenen Feststellungen als rückwirkendes Ereignis i. S. v. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO einordnet, was dazu führt, dass gem. § 175 Abs. 1 Satz 2 AO die Anlaufhemmung der Frist für die Einkommensteuerfestsetzung der Gesellschaft ausgelöst wird

Urteilssachverhalt des BFH

Die Klägerin, eine GmbH, schüttete aufgrund eines Gesellschafterbeschlusses im Jahr 2006 einen Teil der gebildeten Kapitalrücklage aus. Die Höhe der danach noch bestehenden Kapitalrücklage wurde in der Handelsbilanz entsprechend gemindert. Es erfolgte jedoch keine Erfassung der Ausschüttung im steuerlichen Einlagekonto der Klägerin, sondern sie erklärte ein gegenüber den Feststellungen zum Ende des Vorjahres unverändertes steuerliches Einlagekonto. In dem daraufhin ergangenen Bescheid wurde die teilweise Ausschüttung der Kapitalrücklage daher nicht berücksichtigt. Auch in einem weiteren Bescheid, durch welchen die Höhe des steuerlichen Einlagekontos aufgrund einer Änderung in einem Vorjahr angepasst wurde, wurde die Ausschüttung nicht erfasst. Der Feststellungsbescheid wurde materiell bestandskräftig.

Mit Nachforderungsbescheid vom 13. August 2009 machte das beklagte Finanzamt gegenüber der Klägerin als Entrichtungsschuldnerin die nicht einbehaltene Kapitalertragsteuer sowie den darauf entfallende Solidaritätszuschlag geltend.

Die Klage gegen diesen Bescheid wies das Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern ab.

Entscheidung des BFH

Der BFH bestätigte das Urteil des Finanzgerichts.

Die Klägerin war verpflichtet, auf die im Jahr 2006 vorgenommenen Ausschüttungen Kapitalertragsteuer sowie den hierauf entfallenden Solidaritätszuschlag einzubehalten, anzumelden und abzuführen. Dieser Verpflichtung ist die Klägerin nicht nachgekommen, sodass das Finanzamt dazu berechtigt war, gegen die Klägerin als Entrichtungsschuldnerin einen Nachforderungsbescheid zu erlassen. Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, dass sie keine Gewinne ausgeschüttet, sondern ihren Gesellschaftern die von diesen erbrachte Kapitalrücklage erstattet habe und deshalb die Ausschüttungen nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG 2002 nicht zu den kapitalertragsteuerpflichtigen Erträgen ihrer Gesellschafter gehören.

Dieser Einwand kann bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht durchgreifen. Er lässt außer Acht, dass das steuerliche Einlagekonto nach § 27 Abs. 2 Satz 1 KStG 2002 sowohl zum 31. Dezember 2006 als auch zum Ende des Vorjahrs auf jeweils den gleichen Betrag festgestellt wurde und diese Feststellungen, obgleich an die Kapitalgesellschaft als Inhaltsadressatin gerichtet, auch für die Besteuerung der Anteilseigner eine materiell-rechtliche Bindung entfalten. Diesbezüglich hält der BFH an seiner hierzu bereits mit Urteil vom 19. Mai 2010, Az. I R 51/09 getroffenen Rechtsprechung fest. Folge hieraus ist, dass im Streitfall nach den Feststellungen des Einlagekontos die Ausschüttungen nicht i. S. v. § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG 2002 unter Verwendung des Einlagekontos erbracht wurden und damit als Gewinnanteil i. S. v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG 2002 der Kapitalertragsteuer unterlagen.

Auch der Einwand der Klägerin, der Einkommensteuerveranlagung der Gesellschafter sei gegenüber dem nur vorläufigen Verfahren des Kapitalertragsteuerabzugs der Vorrang zu geben, was dazu führe, dass ein Steuereinbehalt sowie die Inanspruchnahme der ausschüttenden Gesellschaft als Entrichtungsschuldnerin ausscheiden, wenn nach den Einkommenssteuerveranlagungen für die Empfänger der Ausschüttungen – also der Gesellschafter – feststehe, dass diese nicht zu Einkünften aus Kapitalvermögen geführt hätten, ändert nichts an der getroffenen Einordnung.

Die Klägerin lässt außer Acht, dass die Erfassung der Kapitalerträge bei ihren Gesellschaftern selbst im Zeitpunkt der Entscheidung des Finanzgerichts über die Rechtmäßigkeit des Nachforderungsbescheids noch möglich gewesen wäre, sodass noch nicht feststand, dass die Ausschüttung bei den Gesellschaftern nicht zu Einkünften aus Kapitalvermögen geführt hat. Grund hierfür ist, dass die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen war, da die Änderung des Bescheids über die Feststellung zum steuerlichen Einlagekonto als rückwirkendes Ereignis i. S. v. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO einzuordnen ist, was die Anlaufhemmung gem. § 175 Abs. 1 Satz 2 AO auslöst.

Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung zeigt, welche erhebliche Bedeutung die Angaben zum steuerlichen Einlagekonto in der Praxis haben und welche Auswirkungen es haben kann, wenn nach der (teilweisen) Ausschüttung der Kapitalrücklage aus dem steuerlichen Einlagekonto nicht die erforderliche Sorgfalt eingehalten wird. Es reicht nicht aus, die Handelsbilanz bezüglich der Höhe der noch bestehenden Kapitalrücklage anzupassen. Steuerlich ist darauf zu achten, dass alle nötigen Schritte mit der erforderlichen Sorgfalt durchgeführt werden. So ist neben dem vollständigen und richtigen Ausfüllen der Steuererklärung eine Bescheinigung mit den in § 27 Abs. 3 KStG erforderlichen Angaben nach amtlich vorgeschriebenem Muster auszustellen.

Werden Fehler gemacht, welche das steuerliche Einlagekonto betreffen, hat dies nicht nur Auswirkungen auf Ebene der Gesellschaft, sondern auch auf Ebene des Gesellschafters. Die Veranlagung der Gesellschaft und die Veranlagung der Gesellschafter laufen nicht nebeneinander ab, sondern sind, über die Einordnung der zum steuerlichen Einlagekonto getroffenen Feststellungen als (negatives) Tatbestandsmerkmal des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, miteinander verbunden. Werden Fehler bei der Veranlagung der Gesellschaft gemacht, welche das steuerliche Einlagekonto betreffen, kann dies dazu führen, dass der Gesellschafter Einkünfte aus Kapitalvermögen versteuern muss, obwohl keine Gewinne ausgeschüttet wurden, sondern nur eine Rückzahlung von Einlagen erfolgt ist.

Der Gesellschafter kann auch nicht darauf vertrauen, dass die Kapitalertragsteuer nach Ablauf der sonst üblichen Festsetzungsfrist nicht mehr erhoben werden kann. Die Einordnung der Änderung des Feststellungsbescheids nach § 27 Abs. 2 KStG als rückwirkendes Ereignis führt dazu, dass aufgrund der hierdurch ausgelösten Anlaufhemmung gem. § 175 Abs. 1 Satz 2 AO der Zeitraum, ab dem die Erfassung der Kapitalerträge bei den Gesellschaftern nicht mehr möglich ist, weit nach hinten verschoben werden kann.

Auch für die Gesellschaft verlängert sich die Frist, in welcher sie zur Abführung von Kapitalertragsteuer verpflichtet werden kann, erheblich. Zwar kann sie nach Ablauf der Festsetzungsfrist nicht mehr unmittelbar in Anspruch genommen werden, da die Anlaufhemmung des § 175 Abs. 1 Satz 2 AO nur gegenüber den Gesellschaftern gilt. Allerdings kann die Gesellschaft mittelbar gem. § 44 Abs. 5 EStG als Haftungsschuldner für die Kapitalertragsteuer, welche sie einzubehalten und abzuführen hatte, in Anspruch genommen werden, sofern sie vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat. Da sie als Haftungsschuldner anstatt der Gesellschafter in Anspruch genommen wird, kommt es auf die gegenüber den Gesellschaftern geltenden Fristen an. Dies führt dazu, dass die Anlaufhemmung mittelbar auch für die Gesellschaft Wirkung entfaltet.

Die Gesellschaft kann eine Inanspruchnahme auch nicht dadurch verhindern, dass sie sich darauf beruft, dass sie gem. § 44 Abs. 5 Satz 1 HS. 2 EStG weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gehandelt habe. Der BFH stuft die Abgabe von fehlerhaften Erklärungen zur Feststellung des steuerlichen Einlagekontos als grobe Fahrlässigkeit ein.

Bei Fragen zu diesem Thema kontaktieren Sie bitte: Jan Dahlmanns

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