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Angebotsöffnung kann nicht an Berater delegiert werden

In einer aktuellen Entscheidung hat die Vergabekammer Südbayern (Beschluss vom 02.01.2018 – Z3-3-3194-1-47-08/17) entschieden, dass die Öffnung der Angebote im Vergabeverfahren nicht auf externe Dienstleister übertragen werden darf. Sie muss als „ureigene Aufgabe“ des Auftraggebers vielmehr durch mindestens eine Person, die ihm zuzuordnen ist (Mitarbeiter), durchgeführt werden.

Der Sachverhalt

Der öffentliche Auftraggeber hatte Leistungen der Tragwerksplanung im zweistufigen Verfahren (Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb) europaweit ausgeschrieben. Sowohl die Öffnung der Teilnahmeanträge als auch die Öffnung der Angebote hatte er dabei einer Projektmanagementgesellschaft übertragen. Die Mitarbeiter der Projektmanagementgesellschaft führten alle Öffnungen durch. Wie viele Mitarbeiter der Gesellschaft daran beteiligt waren, ließ sich nicht mehr zweifelsfrei feststellen. Unstreitig war aber kein eigener Mitarbeiter des öffentlichen Auftraggebers selbst an der Öffnung beteiligt.

Unter anderem hiergegen wandte sich ein unterlegener Bieter. Er rügte themenübergreifend, dass das Vergabeverfahren fehlerhaft durchgeführt worden sei, weil es gegen den Geheimwettbewerb, das Erfordernis der Missbrauchsprävention und den Gleichheits- und Transparenzgrundsatz verstoße, wenn der öffentliche Auftraggeber die Durchführung des Vergabeverfahrens komplett auf ein Projektsteuerungsbüro übertrage. Er trug zahlreiche einzelne Rügen zum Ablauf des Vergabeverfahrens vor.

Die Entscheidung der Vergabekammer Südbayern (Beschluss vom 02.01.2018 – Z3-3-3194-1-47-08/17)

Die Vergabekammer entschied, dass durch die Öffnung der Angebote lediglich durch einen oder zwei Mitarbeiter des Projektmanagementbüros die Norm des § 55 Abs. 2 VgV verletzt worden sei, wonach die Öffnung der Angebote von mindestens zwei Vertretern des öffentlichen Auftraggebers gemeinsam durchgeführt werden müsse. Im konkreten Fall war es streitig, ob überhaupt eine zweite Person bei der Angebotsöffnung mitgewirkt hatte, sodass hierdurch bereits das Vier-Augen-Prinzip als verletzt angesehen wurde.

Die Vergabekammer beschränkte ihre Argumentation jedoch nicht auf diese Verletzung der Norm durch Missachtung des Vier-Augen-Prinzips, sondern führte weiter aus, dass angesichts des Zwecks des § 55 Abs. 2 VgV, durch ein formalisiertes Verfahren mit Vier-Augen-Prinzip Manipulationen bei der Angebotsöffnung zu erschweren, die Öffnung sowohl der Teilnahmeanträge als auch der Honorarangebote nicht vollständig an ein Büro übertragen werden könne, sondern vom Auftraggeber selbst durchzuführen sei. An Büros übertragen werden dürften grundsätzlich nur solche Tätigkeiten im Vergabeverfahren, bei denen der Auftraggeber das Handeln des beauftragten Büros im Nachhinein nachvollziehen und es sich zu eigen machen kann. Es erscheine schwer vorstellbar, wie sich der Auftraggeber das Vorgehen bei der Öffnung zu eigen machen, insbesondere von einer Manipulationsfreiheit ausgehen könne, wenn er dabei nicht mit zumindest einem eigenen Mitarbeiter beteiligt war.

Praxishinweise

Eine sehr überraschende Entscheidung, da es in der Praxis gängig ist, gerade die Öffnung von Teilnahmeanträgen und Angeboten auf externe Berater wie Architekten, Ingenieure, Projektsteuerer oder Rechtsanwälte zu übertragen. Gerade hier können externe Berater den öffentlichen Auftraggeber spürbar entlasten, da bei dem formalisierten Prozess der Öffnung mit Dokumentation zwar Kenntnisse des Vergaberechts, aber gerade keine Kenntnisse der fachlichen Materie, die für den zu vergebenden Auftrag selbst relevant ist, notwendig sind. Insofern überrascht die von der Vergabekammer explizit gezogene Parallele zwischen der Angebotsöffnung und der Angebotswertung, für die solche fachlichen Kenntnisse selbstverständlich vonnöten sind. Dass auch der konkrete öffentliche Auftraggeber von der fraglosen Zulässigkeit der Übertragung der Öffnung auf den externen Dienstleister ausging, zeigt sich schon daran, dass er sich in seiner Erwiderung, soweit sie in der Entscheidung der Vergabekammer wiedergegeben ist, zunächst nicht zur Öffnung der Angebote äußerte, sondern nur dazu, dass er die Wertung eigenständig durchgeführt und der Dienstleister lediglich die Wertungsentscheidung vorbereitet habe. Erst in einem späteren Schriftsatz trug er vor, dass aus seiner Sicht die Öffnung der Angebote gemäß § 55 Abs. 2 VgV gerade durch am Verfahren nicht unmittelbar Beteiligte durchgeführt werden solle, um einer Manipulation des Verfahrens durch Verletzung des Geheimhaltungsgebots vorzubeugen. Auf dieses Argument geht die Vergabekammer in ihrer Entscheidung nicht ein.

Zu beachten ist, dass sich die Entscheidung konkret auf Mitarbeiter einer Managementgesellschaft bezog. Inwieweit diese strenge Rechtsprechung übertragbar ist auf andere Berater, insbesondere Rechtsanwälte, die vom öffentlichen Auftraggeber mit einer Angebotsöffnung betraut werden, ist fraglich. Die Vergabekammer äußert sich nicht zur Übertragbarkeit ihrer Einschätzung auf andere Arten von Beratern. Eine solche Übertragbarkeit darf bezweifelt werden. Zum einen sind Rechtsanwälte bereits gemäß § 1 BRAO unabhängige Organe der Rechtspflege. Zum anderen darf gerade bei auf das Vergaberecht spezialisierten Rechtsanwälten davon ausgegangen werden, dass ihnen die Vorschriften über die Öffnung von Teilnahmeanträgen und Angeboten sowie deren Dokumentation bewusst sind und sie diese auch anwenden, ohne dem von der Vergabekammer zur Begründung herangezogenen Manipulationsverdacht zu unterliegen (vgl. auch die Verordnungsbegründung zu § 55 Abs. 2 VgV, die als Normzweck die Sicherung eines fairen und transparenten Vergabeverfahrens durch das Vier-Augen-Prinzip angibt und auf die gebotene Vertraulichkeit hinweist). Die Parallele zum bevollmächtigten Rechtsanwalt, der in einem Prozess als Vertreter der Partei auftritt, liegt auf der Hand.

Ferner ist unklar, warum es nach Ansicht der Vergabekammer offenbar ausgereicht hätte, wenn der öffentliche Auftraggeber einen eigenen Mitarbeiter die Öffnung zusammen mit einem Mitarbeiter der Managementgesellschaft hätte durchführen lassen. Dies mag zwar mit der teleologischen Auslegung des § 55 Abs. 2 VgV, die die Vergabekammer vornimmt, vereinbar sein, nicht jedoch mit einer widerspruchsfreien Auslegung des Wortlauts der Norm. Entweder die beiden „Vertreter des öffentlichen Auftraggebers“, von denen § 55 Abs. 2 VgV spricht, können externe Beauftragte sein oder beide Personen müssen eigene Mitarbeiter des öffentlichen Auftraggebers sein.

Zu beachten ist weiter, dass diese Entscheidung der Vergabekammer wohl nicht auf die Öffnung von Interessensbestätigungen und Teilnahmeanträgen zu übertragen ist. Die Entscheidung selbst bezieht sich zur Begründung des Vergabeverstoßes direkt nur auf die Angebote, erwähnt aber die Teilnahmeanträge in ihrer sich daran anschließenden abstrakten Überlegung. Der Wortlaut des § 55 Abs. 2 S. 1 VgV spricht, anders als § 55 Abs. 1 VgV, nur von der Angebotsöffnung. Die Ansichten in der Literatur hierzu sind geteilt, vor allem weil etwa die Teilnahmeanträge naturgemäß noch keine sensiblen Preisangaben beinhalten und geringere Rechtswirkungen entfalten als Angebote, da sie keine auf einen Vertragsschluss gerichteten Willenserklärungen darstellen. Eine dem § 57 Abs. 3 VgV vergleichbare Vorschrift der entsprechenden Anwendung auf Teilnahmeanträge etc. fehlt hier. Die Verordnungsbegründung des § 55 Abs. 2 VgV nimmt die Öffnung der Teilnahmeanträge und Interessensbestätigungen sogar ausdrücklich vom Anwendungsbereich aus.

Weitere Rechtsausführungen der Vergabekammer Südbayern

Außerdem trifft die Vergabekammer in dieser Entscheidung Aussagen zur „Surface-Link oder Deep-Link“-Problematik, auf die sich eine weitere Rüge des Antragstellers bezog.

Die Vergabekammer entschied im Einklang mit der bisherigen strengen Rechtsprechung zu der mit der Vergaberechtsreform eingeführten Norm des § 41 Abs. 1 VgV, dass der öffentliche Auftraggeber auch im zweistufigen Verfahren (vgl. OLG München, Beschluss vom 13.03.2017 – Verg 15/16) in der Auftragsbekanntmachung eine elektronische Adresse anzugeben hat, unter der die Vergabeunterlagen uneingeschränkt und vollständig abgerufen werden können. Sie wies auf gegensätzliche Ansichten in der Literatur hin, lehnte diese jedoch implizit ab. Die Norm fordere eine direkte Abrufbarkeit jedenfalls soweit die Unterlagen bei Auftragsbekanntmachung in einer finalisierten Form vorliegen können. Diese Abrufbarkeit konkretisierte die Vergabekammer näher: Im entschiedenen Fall erfolgte die Verlinkung lediglich auf die Startseite einer Vergabeplattform (www.deutsche-evergabe.de), von der aus zuerst ein Weiterklicken auf die Suchmaske und dann die Eingabe des genannten Suchworts erforderlich war, um zumindest die Bewerbungsunterlagen zu erreichen (weitere Teile der Vergabeunterlagen wurden nachgereicht, was die Vergabekammer ebenfalls beanstandete). Dieser Surface-Link stellt nach Ansicht der Vergabekammer keine direkte Abrufbarkeit der Vergabeunterlagen, wie sie die VgV fordert, dar.

Es sei Sache des Auftraggebers, die Unterlagen unentgeltlich, uneingeschränkt, vollständig und direkt zur Verfügung zu stellen, also in Form eines Deep-Links, und nicht Sache des Bewerbers oder Bieters, diese aus den zahlreichen Vergabeverfahren auf einer Vergabeplattform herauszufiltern. Eine direkte Abrufbarkeit der Vergabeunterlagen erfordere eine Verlinkung auf den Speicherort des konkreten Vergabeverfahrens selbst, nicht eine bloße Erleichterung der Suche. Auch diese sehr bieterfreundliche Einschätzung sollte künftig von öffentlichen Auftraggebern beachtet werden.

Ferner legte die Vergabekammer strenge Maßstäbe an die Festlegung von Zuschlagskriterien an (es sei problematisch, die Darstellung von Vorgehensweisen anhand von Referenzprojekten zum Zuschlagskriterium zu machen) und äußerte sich zur Notwendigkeit der Aufnahme eines Vorbehalts gemäß § 17 Abs. 11 VgV in Verhandlungsverfahren in die Bekanntmachung (Zuschlagsmöglichkeit auf Grundlage der Erstangebote, ohne in Verhandlungen einzutreten): Diese Notwendigkeit liege nahe, wenn bei der Vergabe freiberuflicher Dienstleistungen die Inhalte einer Präsentation und das Auftreten der Bieter im Präsentationstermin bewertet werde, ohne dass die Möglichkeit bestehe, aufgrund der Ergebnisse des Präsentationstermins die Angebote zu überarbeiten.

Für die Praxis ebenfalls relevant ist der Hinweis der Vergabekammer an den öffentlichen Auftraggeber, dass er, was ebenfalls gerügt war, die Gefahr eines Aufeinandertreffens der Bieter vor und nach den Präsentationsterminen durch eine entsprechende Terminplanung zu minimieren habe, um einen Verstoß gegen den Grundsatz des Geheimwettbewerbs zu vermeiden.

Von der Vergabekammer nicht herangezogen wurde übrigens der gerügte Umstand, dass ein Vertreter des öffentlichen Auftraggebers, der mit seinen Kollegen die Bewertung der Bieterpräsentationen vorzunehmen hatte, im Präsentationstermin „mehrfach weggenickt“ sei.

Wenn Sie Fragen zu diesem Thema haben, kontaktieren Sie bitte Dr. Tanja Johannsen und Christopher Theis.

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