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Wiederheirat als Grund für die Kündigung eines katholischen Arztes?

Europäischer Gerichtshof vom 11. September 2018 – C 68/17

Die Kündigung eines leitenden Mitarbeiters durch einen katholischen Arbeitgeber wegen dessen zweiter Ehe kann unionsrechtlich eine verbotene Diskriminierung darstellen.

Sachverhalt

Ein deutscher Chefarzt ist katholischer Konfession und arbeitet seit 2000 in einem Krankenhaus, das der katholischen Kirche angehört. 2005 ließ sich der Chefarzt von seiner Frau scheiden. Die Trauung hatte in einer katholischen Kirche stattgefunden. Drei Jahre nach der Scheidung heiratete er seine neue Lebensgefährtin standesamtlich, ohne dass seine erste Ehe für nichtig erklärt worden wäre – für den katholischen Träger ein schwerwiegender Verstoß gegen dienstvertragliche Loyalitätspflichten, der die Kündigung zur Folge hatte. Wer erneut heiratet, verletzt nach der im Arbeitsvertrag in Bezug genommenen Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse den heiligen und unauflöslichen Charakter der Ehe. Das Klinikum beschäftigt auch Mitarbeiter auf ähnlichen Positionen, die nicht katholischen Glaubens sind und für die die Grundordnung nicht gilt. Der Chefarzt hatte vor allen arbeitsgerichtlichen Instanzen Erfolg. Auf die anschließende Verfassungsbeschwerde der Klinik
hob das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) das Urteil des BAG auf und verwies die Sache zurück. Das BAG rief nun den EuGH an. Dabei ging es um die Auslegung der Gleichbehandlungsrichtlinie 2000/78/EG, nach der es grundsätzlich verboten ist, einen Arbeitnehmer wegen seiner Religion oder seiner Weltanschauung zu diskriminieren, es Kirchen und anderen Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, aber unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt ist, von ihren Beschäftigten zu verlangen, dass sie sich loyal und aufrichtig im Sinne dieses Ethos verhalten.

Die Entscheidung

Der EuGH schließt nicht aus, dass die Kündigung eine verbotene Diskriminierung aufgrund der Religion darstellen könnte. Die Anforderung an einen katholischen Chefarzt, den heiligen und unauflöslichen Charakter der Ehe nach dem Verständnis der katholischen Kirche zu beachten, erscheint nicht als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung. Die Luxemburger Richter konnten keine abschließende Entscheidung treffen. Das BAG hat nun zu prüfen, ob die Gefahr einer Beeinträchtigung des Ethos oder des Rechts auf Autonomie des Krankenhauses wahrscheinlich und erheblich ist und insoweit die Kündigung gerechtfertigt ist

Konsequenzen für die Praxis

Das Urteil des EuGH könnte womöglich weitreichende Konsequenzen für das kirchliche Arbeitsrecht haben. Zwar stellt nach heutigen Maßstäben eine standesamtliche Heirat nach Scheidung bei katholischen Arbeitgebern nur noch in Ausnahmefällen einen Kündigungsgrund dar. Die katholische Kirche hat bereits im Jahr 2015 die arbeitsrechtlichen Vorschriften in ihrer Grundordnung im Hinblick auf eine erneute Ehe entschärft. Bei katholischen Arbeitnehmern ist danach eine Wiederheirat nur dann ein Kündigungsgrund, wenn sie ein „erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft“ darstellt und die Glaubwürdigkeit der
Kirche beeinträchtigt. Dies nimmt der Entscheidung jedoch nicht die Aktualität und Brisanz. Auch nach der Reform der kirchlichen Grundordnung sind die Umstände des Einzelfalls anhand einer Gesamtbeurteilung abzuwägen, wobei auch die berufliche Stellung des Mitarbeiters eine wesentliche Rolle spielt. Im Grunde bleibt es trotz der Reform bei der bisherigen Rechtslage. Ein Urteil des BAG zugunsten des Chefarztes ist jedoch wahrscheinlich. Dass das Klinikum auch nicht-katholische Mitarbeiter auf leitenden Positionen beschäftigt, die nicht der Grundordnung der Kirche unterliegen, wird einen wesentlichen Aspekt darstellen, der für eine Diskriminierung aufgrund der Religion spricht. Es lässt sich zudem nicht ausschließen, dass sich auch das BVerfG erneut mit dem Fall des Chefarztes befassen muss. Dies zeigt sich unter anderem in der Reaktion der Deutschen Bischofskonferenz, die die Selbstbestimmtheit der kirchlichen Angelegenheiten als ihre verfassungsrechtliche Position als nicht ausreichend berücksichtigt ansieht. Dies könnte zu divergenter Rechtsprechung des BVerfG und des EuGH führen.

Praxistipp

Kirchliche Arbeitgeber sollten vor einer Kündigung eines Mitarbeiters wegen Wiederheirat nach einer Scheidung stets sorgfältig prüfen, ob sämtliche Umstände des konkreten Falls, insbesondere eine leitende Position, ausreichend sind, um eine solche Kündigung zu rechtfertigen. Die kirchliche Selbstbestimmung wird durch das Urteil des EuGH eingeschränkt, die Rechte von Arbeitnehmern kirchlicher Institutionen werden gestärkt. Klar ist, dass die verfassungsrechtliche Sonderstellung der Kirchen in Deutschland nicht ohne weiteres zu einer wirksamen Kündigung wegen der Wiederheirat führen kann.

Wenn Sie Fragen zu diesem Thema haben, kontaktieren Sie gerne Verena Holzbauer.

TAGS

Arbeitsrecht Europäische Gerichtshof (EuGH) Kündigung Diskriminierung Ehe