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Strenge Regeln zu Nachforderungen gelten auch im Verhandlungsverfahren

Der Sachverhalt

Die Auftraggeberin schrieb Netzdienstleistungen im Wege eines Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb europaweit aus. Zuschlagskriterien waren der Preis und qualitative Kriterien. Die Auftraggeberin forderte nach Abschluss des Teilnahmewettbewerbs die Bieter zur Abgabe eines elektronischen „indikativen“ ersten Angebots auf. Gemäß den Vergabeunterlagen mussten die Bieter ihren indikativen Angeboten einen von ihnen zu vervollständigenden sog. Leistungskatalog beifügen.

Ein Unternehmen reichte bei der Auftraggeberin ein erstes indikatives Angebot unter Verwendung eines Angebotsvordrucks elektronisch ein. Bei der Einreichung unterlief dem Unternehmen jedoch ein technischer Fehler, sodass die einzureichende Anlage LF2 Anlage 2 Leistungskatalog Netzausschreibung unter dem Reiter Leistungsanforderungen NET2020 in der (Antworten-) Spalte 6 der Nrn. 6.3.1 (Eskalationsprozesse) und 6.3.2 (Eskalationsstufe) keine Angaben des Unternehmens enthielt.

Im Angebot fehlten also die geforderten Angaben zum Eskalationsmanagement. Das Eskalationsmanagement der Bieter sollte bewertet werden.

Die Auftraggeberin teilte dem Unternehmen, dem der Fehler unterlaufen war, mit, dass es am weiteren Vergabeverfahren nicht mehr teilnehmen könne, da das indikative Angebot nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV vom Verfahren auszuschließen sei. Es enthalte im Dokument LF2 Anlage 2 Leistungskatalog Netzausschreibung unter dem Reiter Leistungsanforderungen NET2020 in den Nrn. 6.3.1 und 6.3.2 keine Angaben.

Hinsichtlich der fehlenden Angabe von leistungsbezogenen Unterlagen, welche die Wirtschaftlichkeitsbewertung des Angebotes anhand der Zuschlagskriterien betreffen, bestehe keine Möglichkeit der Nachforderung. Auf diesen zwingenden Ausschlussgrund werde auch im Dokument LF2 Anlage 2 Leistungskatalog Netzausschreibung unter dem Punkt Bewertungshinweis verwiesen, so die Auffassung der Auftraggeberin.

Das Unternehmen legte gegenüber der Auftraggeberin dar, dass es aus für das Unternehmen nicht nachvollziehbaren Gründen zu einem Übertragungsfehler vom ursprünglichen Angebotsdokument auf das elektronisch eingereichte Dokument gekommen sei. Sodann rügte es förmlich den Ausschluss seines indikativen Angebots und forderte Abhilfe. Selbstverständlich könne und wolle das Unternehmen der Auftraggeberin auch die beiden fehlenden Leistungspositionen anbieten. Es sei festzuhalten, dass in dem indikativen Angebot zwar Angaben fehlten, die von der Auftraggeberin aufgestellten Anforderungen aber nicht verneint würden.

Zudem sei der Ausschluss des indikativen Angebots aus den folgenden Gründen zu Unrecht erfolgt: Bei dem von der Auftraggeberin aufgestellten Kriterium Nr. 6.3.1 handele es sich um ein reines Bewertungskriterium, wie die Kennzeichnung mit dem Buchstaben B zeige. Eine andere fehlende Angabe sei als Ausschlusskriterium ausgestaltet. Auch diese sei daher nicht leistungsbezogen. § 56 Abs. 3 S. 1 VgV sei also gar nicht einschlägig. Vielmehr gelte die Nachforderungsmöglichkeit des § 56 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. VgV. Bei der Entscheidung der Auftraggeberin liege ein Ermessensausfall aufgrund dieser falschen Einstufung des Sachverhalts vor.

Zudem sei bei einem indikativen Angebot in einem Verhandlungsverfahren ein Angebotsausschluss nicht bei jeder Abweichung von den Vergabeunterlagen zulässig. Sinn und Zweck sowie die Besonderheit des Verhandlungsverfahrens sei es, dass der Angebotsinhalt nicht von vornherein feststehen müsse, sondern im Rahmen von Verhandlungsrunden mit den Bietern fortentwickelt, konkretisiert und verbessert werden könne. Daher sei es offensichtlich unverhältnismäßig, ein indikatives Angebot aufgrund einer nicht angezeigten Ausschlussentscheidung auszuschließen.

Die Auftraggeberin wies die Rüge zurück. Sie trug vor, der technische Fehler sei allein von dem rügenden Unternehmen zu vertreten. Bei dem Kriterium Nr. 6.3.1 handele es sich auch nicht um ein reines Bewertungskriterium, denn neben der Angabe, ob die beschriebene Leistung gewährleistet werden könne, werde gerade die Beschreibung des Eskalationsmanagements gefordert. Nur die Bejahung der Gewährleistung sowie die nähere Beschreibung des Eskalationsmanagements könnten in der Wertung des Angebots zu zehn Punkten führen. Insofern seien hier gerade Angaben gefordert worden, die die in Service-Level-Parametern
geforderten Leistungen belegen sollen. Es seien mithin leistungsbezogene Unterlagen gefordert worden. Die fehlenden Angaben des Unternehmens verhinderten die Prüfung der Auftraggeberin, ob die von ihr aufgestellten Leistungsanforderungen erfüllt würden. Denn nur an der Beschreibung des Eskalationsmanagements könne tatsächlich geprüft werden, ob zum Beispiel die geforderten Service-/Eskalationszeiten bzw. -verfahren eingehalten würden.

Soweit der Auftraggeber zwingende Anforderungen an die Angebote aufstelle, seien diese Anforderungen als Mindestanforderungen nach § 17 Abs. 10 S. 2 VgV (nicht verhandelbare Anteile) zwingend zu beachten, auch bei indikativen Angeboten. Dabei habe die Auftraggeberin ihr Ermessen gemäß § 56 Abs. 2 S. 2 VgV dahingehend ausgeübt, dass für Pflichtangaben keine Nachforderungen zugelassen seien.

Die Entscheidung

Mit Erfolg!

Die Vergabekammer wies den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurück und folgte in allen Kernpunkten dem Vorbringen der Auftraggeberin.

Der durch die Auftraggeberin erklärte Ausschluss des indikativen Angebots der Antragstellerin stütze sich auf § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV. Der Ausschlusstatbestand des § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV und die hier bedeutsamen Bestimmungen über die Möglichkeit der Nachforderung von Unterlagen nach § 56 Abs. 2 ff. VgV gälten auch im vorliegenden Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb (entsprechend), zumal die Auftraggeberin für das indikative Angebot der Bieter eine mit dem Angebotsabgabeschluss gleichwertige Ausschlussfrist gegenüber den Bietern festgesetzt habe.

Nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV seien Angebote von Unternehmen von der Wertung auszuschließen, die nicht die geforderten oder nachgeforderten Unterlagen enthalten. Den §§ 48 Abs. 1, 56 Abs. 2 S. 1 VgV sei zu entnehmen, dass der Begriff der (Angebots-) Unterlagen in einem sehr weiten Sinne zu verstehen ist. Hierunter fielen unter anderem Eigenerklärungen sowie sonstige Angaben in den Angeboten der Bieter.

Die Antragstellerin habe es selbst zu vertreten, dass das Angebot unvollständig war. Sie habe selbst dafür zu sorgen, dass ihr Angebot im Sinne des § 53 Abs. 7 S. 2 VgV vollständig sei. Ein Auftraggeber sei überdies nicht verpflichtet, sich die geforderten Angaben und Erklärungen selbst aus dem Angebot der Bieter zusammenzusuchen (!).

Die Auftraggeberin sei auch nicht verpflichtet gewesen, vor einem Ausschluss gem. § 56 Abs. 2 S. 1 VgV nachzufordern, denn § 56 Abs. 3 S. 1 VgV verbiete die Nachforderung von leistungsbezogenen Unterlagen, die die Wirtschaftlichkeitsbewertung der Angebote anhand der Zuschlagskriterien betreffen. So liege es hier.

Die zu tätigenden Angaben der Bieter zu seinem jeweiligen Eskalationsmanagement beträfen in der Tat die geforderten Leistungsinhalte. Es handele sich insofern um leistungsbezogene Angaben und damit um leistungsbezogene Unterlagen der Bieter im Sinne von § 56 Abs. 3 S. 1 VgV. Zu den Zuschlagskriterien gehörten vorliegend neben dem Preis unter anderem das in (Eskalations-) Stufen unterteilte Eskalationsmanagement der Bieter, mithin die Wirtschaftlichkeitsbewertung ihrer Angebote anhand des Zuschlagskriteriums des in (Eskalations-) Stufen unterteilten Eskalationsmanagements. Diese Wirtschaftlichkeitsbewertung der Angebote anhand der Zuschlagskriterien finde auch bereits im Rahmen der Bewertung der ersten (indikativen) Angebote der Bieter statt, da nur dann eine sinnvolle Verhandlung zwischen Auftraggeber und Bietern über diese Erstangebote nach § 17 Abs. 10 VgV und ggf. sogar ein Zuschlag auf ein solches Erstangebot nach § 17 Abs. 11 VgV möglich seien.

Nach Auffassung der Vergabekammer kam auch keine Anwendung der für fehlende Preisangaben geltenden Kriterien des § 56 Abs. 3 S. 2 VgV (keine Geltung des Nachforderungsverbots für unwesentliche Einzelpositionen) auf alle fehlenden und unvollständigen Erklärungen und Angaben in Betracht, da dies schon dem Wortlaut des § 56 Abs. 3 VgV widerspreche. Den Anstoß zu dieser Überlegung gab der Vergabekammer der Umstand, dass die Antragstellerin nach erster Wertung der indikativen Angebote weit vorne lag, da sie einen vergleichsweise sehr niedrigen Preis angeboten hatte und die hier fehlenden Angaben nur zu einem geringen Prozentsatz in die Wirtschaftlichkeitsbewertung einfließen sollten. Die Vergabekammer prüfte daher, ob dies im Wege einer Analogie mit der Situation gleichzusetzen sei, in der der Bieter eine Preisangabe nicht einreicht, die so unerheblich ist, dass sie die Wertungsreihenfolge und den Wettbewerb nicht beeinträchtigt, lehnte dies im Ergebnis aber ab.

Vorliegend habe die Auftraggeberin in den Vergabeunterlagen zudem festgelegt, dass bei fehlenden Angaben in Nr. 6.3.2 des genannten Antragsdokuments ein Ausschluss des Bieters erfolge. Sie habe damit konkludent erklärt, dass eine Nachforderung dieser Angaben nicht erfolgen werde. Diese Festlegung sei für die Auftraggeberin bindend. Nach Auffassung der Vergabekammer konnte diese bislang nur wenig begründete Festlegung durch die Auftraggeberin auch noch ermessensfehlerfrei nachträglich begründet werden.

Praxishinweise

Die Entscheidung überrascht zunächst durch eine vergleichsweise strenge Auslegung zulasten desjenigen Unternehmens, für den endgültigen Ausschluss aus dem Verhandlungsverfahren schon in der ersten Angebotsrunde und gegen die hier technisch unproblematisch mögliche Nachreichung seiner Angaben. Allerdings lagen hier mehrere Gründe vor, aus denen die Nachforderung aus Sicht der Vergabekammer ausschied. Zum einen die Selbstbindung der Auftraggeberin in den Vergabeunterlagen gemäß § 56 Abs. 2 S. 2 VgV, die auch nicht als bloßer Vorbehalt, sondern definitiv formuliert war, zum anderen die Tatsache, dass Umstände betroffen waren, die sich direkt auf die Wirtschaftlichkeitsbewertung der Angebote anhand der Zuschlagskriterien bezogen, nämlich Darstellungen zum Eskalationsmanagement der Bieter. Bei ihrer Entscheidung dürfte die Vergabekammer auch die Besorgnis gehabt haben, spekulativen Bietern Tür und Tor zu öffnen, wenn der Eindruck entstünde, es sei zulässig, ein Angebot einzureichen, das in einem für die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung wesentlichen Punkt unvollständig ist, da man die Angaben ja auf Nachforderung noch nachreichen und somit Zeit für die Entwicklung der eigenen Darstellung des Eskalationsmanagements gewinnen könnte.

Bieter sollten somit auch im Verhandlungsverfahren bereits in der ersten Angebotsrunde genau darauf achten, alle geforderten Unterlagen einzureichen und alle Angaben zu machen, insbesondere wenn sich diese auf die Wirtschaftlichkeitsbewertung der Angebote beziehen. Sie können zum einen nicht darauf vertrauen, im Verhandlungsverfahren gehe es ja nur um ein erstes indikatives Angebot, sodass ohnehin eine „zweite Chance“ gegeben sei, das Angebot nachzubessern, auch in Bezug auf bloße Unvollständigkeiten. Diese Auffassung der Vergabekammer ist angesichts der Möglichkeit des Auftraggebers, auf das erste Angebot sogleich den Zuschlag zu erteilen (§ 17 Abs. 11 VgV), wenn er sich dies vorbehalten hat, auch gerechtfertigt, wobei es sich dann strenggenommen, wenn ein solcher Vorbehalt festgelegt wird, eben nicht mehr um „indikative“ Angebote handelt. Zum anderen ist mit dieser Entscheidung eine ablehnende Aussage getroffen worden zu der Frage, ob die ohnehin schwierig zu handhabende Norm des § 56 Abs. 3 S. 2 VgV – da streng genommen jeder geänderte Einzelpreis den Gesamtpreis verändert – auf Angebotsteile auszudehnen sein könnte, die nicht den Preis, sondern die Qualität betreffen.

Auftraggeber wiederum sollten darauf achten, dass sie nicht, ohne sich dessen bewusst zu sein, durch strenge Formulierungen zu den einzureichenden Unterlagen der Bieter die Festlegung gemäß § 56 Abs. 2 S. 2 VgV (keine Nachforderung vorgesehen) treffen, ohne dies zu wollen. Denn haben sie sich entsprechend selbst gebunden, so dürfen sie von einem Bieter im Nachhinein nicht großzügig doch noch nachfordern, da Verstöße gegen § 56 VgV von anderen Bietern gerügt werden können.

Bei Fragen zu diesem Thema wenden Sie sich gerne an Dr. Tanja Johannsen.

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