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Schwangerschaft schützt nicht vor Kündigung im Rahmen einer Massenentlassung

Europäischer Gerichtshof vom 22. Februar 2018 – C-103/16

Auch bei einer Massenentlassung gibt es keinen besonderen Kündigungsschutz für schwangere Frauen aus der Richtlinie 92/85/EWG (Mutterschutzrichtlinie).

Sachverhalt

Im Jahr 2013 nahm der spanische Arbeitgeber die Verhandlungen mit der zuständigen Arbeitnehmervertretung für den Ausspruch von Kündigungen auf. In einer Vereinbarung wurden Auswahlkriterien für die zu kündigenden Arbeitnehmer festgelegt. Zum Jahresende kündigte der Arbeitgeber gemäß dieser Vereinbarung einer schwangeren Arbeitnehmerin. Im Kündigungsschreiben wurde ausgeführt, dass weitreichende Personalanpassungen erforderlich seien und dass nach dem Bewertungsverfahren, das der Arbeitgeber in der Konsultationsphase durchgeführt habe, das Ergebnis der Arbeitnehmerin zu dem niedrigsten in der Provinz zähle.

Die Entscheidung

Das oberste Gericht von Katalonien legte dem EuGH die Frage vor, ob das in der Mutterschutzrichtlinie 92/85/EWG geregelte Verbot der Kündigung schwangerer Arbeitnehmerinnen in einem Massenentlassungsverfahren im Sinne der Massenentlassungsrichtlinie 98/59/EG angewendet werden darf. Der EuGH meint, dass eine nationale Regelung, die eine derartige Möglichkeit eröffnet, nicht gegen die Mutterschutzrichtlinie verstoße. Unzulässig sei nur eine Kündigung, die aufgrund der Schwangerschaft ausgesprochen wird. Eine Kündigung könne jedoch aus anderen Gründen ausgesprochen werden, sofern der Arbeitgeber die Kündigungsgründe schriftlich in der Kündigung aufführt und die Kündigung nach dem Recht des jeweiligen Mitgliedsstaats grundsätzlich zulässig ist.

Konsequenzen für die Praxis

Auch der deutsche Gesetzgeber hat die Mutterschutzrichtlinie umgesetzt und das Mutterschutzgesetz (MuSchG) dabei (umfassend) überarbeitet. Art. 10 der Mutterschutzrichtlinie enthält ein „Verbot der Kündigung“. Dementsprechend müssen die Mitgliedstaaten Maßnahmen treffen, um die Kündigung Schwangerer vom Beginn der Schwangerschaft an bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubs zu verbieten. Die Kündigung ist nur dann zulässig, wenn ein nicht mit der Schwangerschaft in Zusammenhang stehender Ausnahmefall eingreift, für den die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften bzw. Gepflogenheiten heranzuziehen seien und ggf. eine zuständige Behörde ihre Zustimmung erteilen muss. Das MuSchG sieht in § 17 Absatz 1 ein umfassendes Kündigungsverbot für den gesamten Zeitraum der Schwangerschaft vor. Die Möglichkeit zur Kündigung besteht nur bei vorheriger Zustimmung einer für den Arbeitsschutz zuständigen obersten Landesbehörde, wobei diese auch nur dann erteilt wird, wenn die Kündigung keinen Bezug zur Schwangerschaft aufweist. Gleichwohl muss die Schriftform gewahrt sein und, wie in dem durch den EuGH entschiedenen Fall, der Kündigungsgrund angegeben sein.

Erfasst ist im neuen § 17 Absatz 1 Satz 3 MuSchG aber auch eine Unzulässigerklärung von vorbereitenden Handlungen im Hinblick auf die Kündigung einer Schwangeren. Eingefügt wurde dieses Verbot ausweislich der Gesetzesbegründung aufgrund des EuGH-Urteils vom 11. November 2007 (C-460/06 – „Paquay“), wonach dann ein Verstoß gegen Artikel 10 der Mutterschutzrichtlinie vorliegt, wenn vor Ablauf des Kündigungsschutzes in Vorbereitung einer Kündigung beispielsweise die Suche und Planung eines endgültigen Ersatzes für die Betroffene in Angriff genommen worden sind.

Zum Inkrafttreten des neuen MuSchG wurde aufgrund der vorgenannten Regelung vertreten, dass auch die Aufnahme einer schwangeren Mitarbeiterin in eine Massenentlassungszeige nicht zulässig sei, da es sich um eine die Kündigung vorbereitende Maßnahme handele. Damit wird allerdings die Regelung des § 17 Absatz 2 MuSchG konterkariert, wonach nach Zulässigerklärung eine Kündigung auch während der Schwangerschaft ausgesprochen werden kann. Diese Schlussfolgerung bestätigt nun auch der EuGH. Außerdem wird deutlich, dass eine Schwangere bei einer betriebsbedingten Kündigung keine Vorrangstellung hat.

Praxistipp

Das deutsche Recht hat den nun durch den EuGH vorgegebenen Standard bereits umgesetzt. Schwangere können weiterhin auch im Rahmen anstehender Maßnahmen gekündigt werden. Lediglich die Anforderungen an die Wirksamkeit sind höher. Einen absoluten Kündigungsschutz gibt es daher nicht – auch nicht während der Schwangerschaft.

Wenn Sie Fragen zu diesem Thema haben, wenden Sie sich gerne an Dr. Kathrin Bürger und Dr. Anne Dziuba.

Hinweis: Der Beitrag ist in ähnlicher Form bei Haufe.de erschienen.

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Arbeitsrecht Schwangerschaft Besonderer Kündigungsschutz Kündigung Massenentlassung