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(Keine) Sitzgarantie für Gewerkschaftsvertreter bei Gründung einer Europäischen Aktiengesellschaft

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg vom 9. Oktober 2018 – 19 TaBV 1/18

Die Mitbestimmungsvereinbarung einer durch Umwandlung gegründeten Europäischen Aktiengesellschaft (SE) muss eine Sitzgarantie für Gewerkschaftsvertreter, die vorher im Unternehmen bestanden hat, nicht aufrechterhalten.

Sachverhalt

In einem Software-Unternehmen, das dem Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) unterlag, musste ein paritätisch mit Arbeitnehmervertretern besetzter Aufsichtsrat gebildet werden. Der 16-köpfige Aufsichtsrat bestand u. a. aus acht Arbeitnehmervertretern, von denen zwei Gewerkschaftsvertreter waren. Die Rechtsform des Unternehmens wurde im Jahr 2014 in eine SE umgewandelt. Bei einer SE gilt nicht mehr das MitbestG, sondern das SE-Beteiligungsgesetz. Primär ist danach im Rahmen von Verhandlungen eine unternehmerische Mitbestimmung zu vereinbaren. Im Unternehmen wurde eine Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE geschlossen. Der Aufsichtsrat sollte zunächst aus 18 Mitgliedern bestehen, je nach Anteil der auf Deutschland entfallenden Sitze von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat sollten bis zu zwei Sitze für Gewerkschaften reserviert werden. In der Vereinbarung war auch vorgesehen, dass der Aufsichtsrat auf Vorschlag des Vorstands gegenüber der Hauptversammlung auf zwölf Mitglieder verkleinert werden kann. Die Verkleinerung hätte jedoch zur Folge, dass den Gewerkschaften keine reservierten Sitze im Aufsichtsrat mehr zustehen würden. Zwei Gewerkschaften sind hiergegen gerichtlich vorgegangen.

Die Entscheidung

Das LAG hat die Beschwerde der Gewerkschaften zurückgewiesen. Es sei bereits der Antrag gegen den Vorstand auf Untersagung unzulässig, der Hauptversammlung einen Vorschlag zur Satzungsänderung zur Verkleinerung des Aufsichtsrats zu unterbreiten. Zudem sei die Beteiligungsvereinbarung nicht zu beanstanden. Die getroffene Vereinbarung verstoße nicht gegen die Regelungen des SE-Beteiligungsgesetzes. Das LAG hat damit erfreulicherweise entschieden, dass eine bei einer mitbestimmten AG oder GmbH nach § 7 Abs. 2 MitbestG bestehende Sitzgarantie für Gewerkschaftsvertreter nach Umwandlung in eine SE nicht aufrechterhalten werden muss.

Konsequenzen für die Praxis

Die SE ist ein geeignetes Instrument, aus dem starren deutschen Mitbestimmungssystem „auszusteigen“. Die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE soll nach der Verhandlungslösung primär durch eine Vereinbarung zwischen dem Unternehmen und dem sogenannten „Besonderen Verhandlungsgremium“ (bVG) erfolgen, einer Vertretung aller betroffenen Arbeitnehmer. Wenn diese Vereinbarung innerhalb von sechs Monaten nicht erfolgreich ist oder vom bVG abgebrochen wird, greift die gesetzliche Auffanglösung. Die gesetzliche Auffanglösung ist ein „Damoklesschwert“, da das bisherige Mitbestimmungsniveau beibehalten bleibt. Die Entscheidung des LAG ist deshalb umso erfreulicher, da es zulässig ist, in wichtigen Details, wie der Sitzgarantie für Gewerkschaftsvertreter vom bisherigen Status quo abzuweichen.

Praxistipp

Bei dieser Gelegenheit muss im Rahmen der Umwandlung von einer AG in eine SE auf die Beschlüsse des LG München I vom 26. Juni 2018 – 38 O 15760/17 und des OLG Frankfurt am Main vom 27. August 2018 – 21 W 29/18 hingewiesen werden. Das LG München I führt für Unternehmen erfreulicherweise aus, dass es für das Mitbestimmungsniveau im Zeitpunkt der Umwandlung von einer AG in eine SE auf die tatsächlichen mitbestimmungsrechtlichen Verhältnisse ankomme und nicht darauf, ob nach den Vorgaben des MitbestG ein mitbestimmter Aufsichtsrat hätte gebildet werden müssen. Unternehmen, die zwar die Voraussetzungen des MitbestG erfüllen, aber bisher keinen mitbestimmten Aufsichtsrat gebildet haben, könnten sich durch den Wechsel in eine SE die Mitbestimmungsfreiheit sichern. Dies gilt wohl derzeit in Bayern, nicht aber in Hessen. Das OLG Frankfurt am Main hat im Beschluss vom 27. August 2018 gegenteilig entschieden und ausgeführt, dass auf den rechtlich gebotenen Soll-Zustand und nicht auf den praktizierten Ist-Zustand zum Zeitpunkt der Umwandlung in eine SE abzustellen sei.

Wenn Sie Fragen zu diesem Thema haben, kontaktieren Sie gerne Dr. Erik Schmid.

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Arbeitsrecht Landesarbeitsgericht LAG Europäische Aktiengesellschaft Mitbestimmungsgesetz

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