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Überzogene Eignungskriterien können vergaberechtswidrig sein

Das OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 30. März 2021 – 11 Verg 18/20) befasst sich mit der Frage der Verhältnismäßigkeit von Eignungskriterien. Besonders hohe Anforderungen an die Eignung müssen durch gewichtige Gründe gerechtfertigt werden. Ein Begründungserfordernis besteht besonders dann, wenn der potenzielle Bieterkreis eng ist und hohe Eignungsschwellen Auswirkungen auf den Wettbewerb haben können. Das Gericht äußert sich zudem zur Frage der Erkennbarkeit von Rechtsverstößen im Rahmen der Eignung.

Der Sachverhalt

Der beklagte öffentliche Auftraggeber schrieb den Einkauf und die Implementierung einer neuen Software im Wege eines Verhandlungsverfahrens mit vorherigem Teilnahmewettbewerb europaweit aus.

Zum Nachweis der Eignung im Hinblick auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit waren u. a. die Vorlage von Bilanzen, Bonitätsnachweisen und die Darstellung der Umsatzentwicklung gefordert. Die technische und berufliche Leistungsfähigkeit war mit zwei Referenzen und der beruflichen Befähigung von zwei Projektleitern und zehn weiteren Mitarbeitern nachzuweisen. Diese Kriterien wurden jeweils mit Punkten bewertet, die je nach Zielerfüllungsgrad (niedrig/mittel/hoch) vergeben wurden. Insgesamt mussten zum Nachweis der Eignung mindestens 69 von 100 Punkten erreicht werden.

Dies gelang der Antragstellerin mit ihrem Teilnahmeantrag nicht, sodass sie vom weiteren Verfahren ausgeschlossen wurde. Sie rügte daraufhin u. a., dass die Eignungsanforderungen vergaberechtswidrig zu hoch gewesen seien, und stellte einen Nachprüfungsantrag. Dieser wurde von der Vergabekammer ohne Entscheidung in der Sache als unzulässig zurückgewiesen, da die Antragstellerin ihre Rügeobliegenheit gem. § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB nicht erfüllt habe. Der gerügte Verstoß sei in den Vergabeunterlagen erkennbar gewesen, insbesondere da die Antragstellerin als wettbewerbs- und vergabeerfahren anzusehen sei. Spätestens mit Anfertigung des Teilnahmeantrags, so die Vergabekammer, hätte die Antragstellerin die Verstöße erkennen und rügen müssen.

Die Entscheidung

Das OLG Frankfurt entschied auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hin dagegen, dass der Nachprüfungsantrag zulässig und in der Sache auch begründet sei. Es hielt die Eignungskriterien für nicht angemessen und unverhältnismäßig
(§ 97 Abs. 1 Satz 2 GWB). Das Verfahren wurde zurückversetzt, und der Auftraggeber muss seine Eignungskriterien neu aufstellen.

Kenntnis vergaberechtlicher Rechtsprechung kann nicht verlangt werden

Die Antragstellerin sei nicht, wie die Vergabekammer angenommen hatte, wegen Erkennbarkeit des Vergabeverstoßes gemäß § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB präkludiert. Die Erkennbarkeit im Sinne der Norm setze nicht nur die Erkennbarkeit der tatsächlichen Umstände, sondern auch die Erkennbarkeit des Rechtsverstoßes voraus.

Die tatsächlichen Umstände, nämlich welche Eignungsanforderungen gestellt wurden und dass diese eine hohe Messlatte bedeuteten, seien für die Antragstellerin zwar erkennbar gewesen – der Rechtsverstoß hingegen nicht. Denn die Frage, ob der Rechtsverstoß erkennbar war, also die Eignungsanforderungen unangemessen hoch waren, sei für das durchschnittliche Bieterunternehmen aus Laiensicht und ohne Anwendung juristischen Sachverstands zu bewerten. Im vorliegenden Fall lasse sich die Angemessenheit der Eignungsanforderungen nicht aus den gesetzlichen Bestimmungen entnehmen: Vielmehr sei zu einer rechtlichen Beurteilung der Frage der Angemessenheit die Kenntnis der diesbezüglichen vergaberechtlichen Rechtsprechung erforderlich. Eine solche Kenntnis könne von einem durchschnittlichen Bieter jedoch nicht erwartet werden, und zwar selbst dann nicht, wenn der relevante Bieterkreis über weit überdurchschnittliche vergaberechtliche Kenntnisse verfüge.

Die Antragstellerin konnte demnach den Vergabeverstoß erst nach anwaltlicher Beratung erkennen, sodass die Rüge, obwohl nach Ende der Teilnahmefrist eingelegt, noch rechtzeitig war.

Eignungskriterien müssen im Verhältnis zum Auftragsgegenstand angemessen sein

In der Sache stellte das Gericht fest, dass Eignungskriterien zum Nachweis der Leistungsfähigkeit und Fachkunde verhältnismäßig, also geeignet und erforderlich sein müssen.

Die Anforderungen müssen zwar tatsächlich einen tragfähigen Rückschluss auf die Fachkunde und Leistungsfähigkeit eines Unternehmens bieten. Sie müssen jedoch auch im Verhältnis zum Auftragsgegenstand angemessen sein. Die Auswirkungen auf den Wettbewerb sind dabei in die Angemessenheitsprüfung einzubeziehen. Entfalten sie wettbewerbsbeschränkende Wirkung, weil nur ein einziges oder sehr wenige Unternehmen die Anforderungen erfüllen können, muss dies durch gewichtige Gründe gerechtfertigt sein.

Im vorliegenden Fall war die Bewertungsmethode so ausgestaltet, dass die Eignung nur nachgewiesen werden konnte, wenn die Kriterien im Schnitt besser als mit „MZG“, dem mittleren Zielerfüllungsgrad (50), bewertet wurden. Bieter mit guter Bonität und stabilen Umsätzen konnten jedoch nur den Grad „MZG“ erreichen und waren somit im Schnitt ungeeignet. Eine bessere Bewertung diesbezüglich war Unternehmen mit steigenden Umsätzen vorbehalten. Für das OLG Frankfurt war es nicht nachvollziehbar, warum ein Bieter mit gleichbleibender Umsatzentwicklung zur Durchführung eines langfristigen Auftrags nicht in der Lage sein sollte.

Beim Nachweis der beruflichen Leistungsfähigkeit wurden bei Einhaltung der Mindestanforderungen 0 Punkte vergeben. Für die beste Bewertung wäre ein „deutliches Übertreffen“ der Mindestanforderungen erforderlich gewesen; ein Kriterium, welches laut OLG intransparent blieb.

Zugleich eröffnete das Bewertungsverfahren Kompensationsmöglichkeiten, sodass ein Unternehmen u. U. auch dann als geeignet eingestuft werden konnte, obwohl es seine wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit nicht hinreichend nachweisen konnte. Auch wenn die Referenzen mit niedrigster Punktzahl bewertet wurden, konnte dies im Ergebnis durch die anderen Kriterien ausgeglichen werden. Das OLG Frankfurt entschied, dass eine solche Kompensationsmöglichkeit, nach der die Eignung insgesamt vorliegen könne, obwohl beispielsweise die Referenzen keines der vorgegebenen Kriterien erfüllten (keine Mindestanforderungen), widersprüchlich sei.

Im Ergebnis konnte der Auftraggeber nach Ansicht des OLG keine gewichtigen Gründe nachweisen, die die Wettbewerbsbeschränkung durch hohe Eignungsanforderungen hätten rechtfertigen können. Die Eignungsanforderungen waren daher unverhältnismäßig hoch und teilweise intransparent.

Praxistipp

Die Entscheidung des OLG Frankfurt am Main ist in zweierlei Hinsicht interessant:

Zum einen wird im Hinblick auf die Rügepräklusion deutlich, dass die Rechtsprechung auch bei der Frage der Erkennbarkeit der rechtlichen (Un-)Zulässigkeit von Eignungskriteriendurchaus großzügig agiert und einer Erkennbarkeit selbst für Bieterunternehmen, die über „weit überdurchschnittliche“ Vergabekenntnisse verfügen, jedoch ohne spezifischen vergaberechtlichen Beistand bleiben, in der Regel kritisch gegenübersteht – ähnlich wie das zuletzt auch im Hinblick auf Zuschlagskriterien und Bewertungsmethoden der Fall war. Es muss neben den tatsächlichen Umständen nämlich immer auch derRechtsverstoßerkennbar sein, was bei den oft stark auslegungsbedürftigen Normen über Eignungs- und Zuschlagskriterien nicht ohne weiteres der Fall ist. Wird ein Vergabeverstoß vermutet, ist es in vielen Fällen also auch nach Ablauf der Teilnahme- bzw. Angebotsfrist noch nicht zu spät, vergaberechtlichen Sachverstand einzuholen und gegen den möglichen Vergabeverstoß vorzugehen. Von dem durchschnittlichen Bieterunternehmen kann in aller Regel keine detaillierte Kenntnis der Vergaberechtsprechung gerade bei den oftmals komplexen Fragen der Zulässigkeit von Eignungs- und Zuschlagskriterien und Wertungsmethoden erwartet werden. Die Frist zur Erhebung einer Rüge läuft in solchen Fällen erst an, wenn der Bieter nach vergaberechtlicher Beratung positiv erkannt hat, dass ein Vergabeverstoß vorliegt. Dabei ist die Wartefrist für die Zuschlagserteilung gemäß § 134 Abs. 2 GWB im Blick zu behalten.

Zum anderen zeigt die Entscheidung den öffentlichen Auftraggebern, welche Fragen sie sich bei der Erstellung der Eignungskriterien und -nachweise intensiv stellen sollten: Was sollen die Bieter nachweisen? Welches Ziel soll mit dem Nachweis erreicht werden? Und vor allem: kann von dem Nachweis der Bieter auf die Zielerreichung geschlossen werden?

Werden besonders hohe Eignungsanforderungen gestellt, um der Komplexität des Vorhabens gerecht zu werden, müssen triftige Sachgründe dafür vorliegen und dokumentiert werden. Bei Kompensationsmöglichkeiten ist dabei besondere Vorsicht geboten: Diese dürfen nicht dazu führen, dass ein Bieter, der bei bestimmten Kriterien deutlich unterdurchschnittlich abschneidet, dieses Ergebnis durch überdurchschnittliche Zahlen bei anderen Kriterien kompensieren kann. Es muss bei allen Eignungskriterien klare und nachvollziehbare Schwellen geben.

Christopher Theis

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Vergaberecht Eignungskriterien

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