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Erleichterung des Inverkehrbringens von Medizinprodukten im Zuge der Corona-Krise

Im Zuge der Ausbreitung der Krankheit COVID-19, verursacht durch das Virus SARS-CoV-2, kommt es vermehrt zu Engpässen bei Medizinprodukten. Zudem besteht akuter Bedarf an neu entwickelten Medizinprodukten, wie z. B. Schnelltests. Die Produkte unterliegen der Medizinprodukte-Richtlinie 93/42/EWG. Die Vorschriften legen die Anforderungen an das technische Design, die Herstellung und den Verkauf fest.

Mit ihrer Empfehlung (EU)2020/403 vom 13. März 2020 hat die Europäische Kommission (EU-Kommission) Maßnahmen vorgestellt, um die Verfahren zum Vertrieb von Medizinprodukten und persönlichen Schutzausrüstungen zu beschleunigen und zu vereinfachen. Eine Empfehlung der EU-Kommission ist gemäß
Art. 288 AEUV aber nicht verbindlich, sodass die Umsetzung entsprechender nationaler Rechtsgrundlagen bedarf.

Die Voraussetzungen für das Inverkehrbringen von Medizinprodukten sind im deutschen Recht im Medizinproduktegesetz (MPG) und den entsprechenden Rechtsverordnungen zum MPG in Verbindung mit den einschlägigen EU-Richtlinien geregelt. Danach bedarf es insbesondere einer CE-Kennzeichnung auf dem Produkt, um dieses auf den Markt bringen zu können. Hiervon ausgenommen sind Medizinprodukte mit einer Sonderzulassung gemäß § 11 Abs. 1 MPG sowie In-vitro-Diagnostika, die für Leistungsbewertungszwecke bestimmt sind. Voraussetzungen für die Vornahme der CE-Kennzeichnung sind das Erfüllen der grundlegenden Anforderungen nach § 7 MPG und die Durchführung des vorgeschriebenen Konformitätsbewertungsverfahrens. Das Konformitätsbewertungsverfahren wird durch benannte Stellen bzw. notifizierte Stellen durchgeführt.

Um dem aktuell hohen Bedarf an entsprechenden Medizinprodukten und persönlicher Schutzausrüstung (PSA) zu begegnen, sieht die EU-Kommission in ihrer Empfehlung Maßnahmen vor, die eine schnellere Bereitstellung von Medizinprodukten auf dem Markt gewährleisten sollen. Insbesondere sollen Hersteller die Produkte nunmehr im Ausnahmefall bereits ohne die sonst erforderliche CE-Kennzeichnung auf den Markt bringen können. Für Medizinprodukte sollte daher für Mitgliedsstaaten in Betracht gezogen werden, Ausnahmen von den Konformitätsbewertungsverfahren zu genehmigen. Jedoch ist sicherzustellen, dass Produkte ohne CE-Kennzeichnung nur medizinischen Fachkräften und nur für die Dauer der derzeitigen Gesundheitsbedrohung zur Verfügung gestellt werden.

In Deutschland kann durch die Regelung in § 11 Abs. 1 MPG der Empfehlung der EU-Kommission für Medizinprodukte entsprechend nachgekommen werden. Danach kann das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im Interesse des Gesundheitsschutzes auf Antrag befristete Sonderzulassungen für Medizinprodukte erteilen. Vor dem Hintergrund des aktuellen Geschehens im Zusammenhang mit dem Coronavirus liegen laut dem BfArM die Erteilungen von Sonderzulassungen im Interesse des Gesundheitsschutzes. Damit ist die zwingende Voraussetzung des § 11 Abs. 1 MPG erfüllt (hier nachlesen). Für Schnelltests, medizinische Atemschutzmasken etc. können dementsprechend Sonderzulassungen erteilt werden.

Die Antragsstellung für eine Sonderzulassung erfolgt formlos. Eine vorherige Abstimmung mit dem BfArM ist zu empfehlen. Im Antrag ist nachzuweisen, dass die entsprechenden Produkte die einschlägigen Sicherheits- und Leistungsanforderungen wie etwa die der anwendbaren technischen Normen erfüllen. Im Falle einer Antragsstellung für einen Schnelltest muss der Antragsteller insbesondere die ausreichende Sensitivität und Spezifität durch entsprechende Dokumentation nachweisen.

Zu beachten ist, dass das MPG zum 26. Mai 2020 seine Gültigkeit verlieren soll. Es wird durch das Medizinprodukte-EU-Anpassungsgesetz (MEPUAnpG) ersetzt, welches zur Anpassung des Medizinprodukterechts an die Medizinprodukteverordnung (EU) 2017/745 (MDR) am 5. März 2020 vom Bundestag beschlossen wurde. Der Bundesrat hat dem Gesetz am 27. März 2020 zugestimmt. Aber auch das MEPUAnpG ermächtigt gemäß § 7 i. V. m. § 85 MEPUAnpG das BfArM, Sonderzulassungen für Medizinprodukte zu erteilen. Gemäß der Gesetzesbegründung entspricht der neue § 7 MEPUAnpG dem § 11 MPG. Der Link zum Gesetzesentwurf für das MEPUAnpG findet sich hier. Im Hinblick auf die aktuelle Entwicklung wird jedoch auf EU-Ebene diskutiert, das Inkrafttreten der MDR um ein Jahr zu verschieben, sodass auch das MEPUAnpG erst 2021 zur Anwendung kommen könnte. Mit der MDR gehen Verschärfungen wie unangekündigte Kontrollen und strengere Prüfungen der benannten Stellen einher, sodass die Regelungen für eine Erleichterung des Inverkehr-bringens von Medizinprodukten kontraproduktiv wären.

Weiterhin ist das Bundesministerium für Gesundheit aufgrund der aktuellen Änderung des Infektionsschutzgesetzes gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 4 InfSG ermächtigt, durch Erlass von Rechtsverordnungen Maßnahmen zur Versorgung mit Medizinprodukten zu treffen, insbesondere Ausnahmen von medizinproduktrechtlichen Vorschriften, die die Herstellung, Kennzeichnung, Zulassung, klinische Prüfung, Anwendung, Verschreibung und Abgabe, Ein- und Ausfuhr, das Verbringen und die Haftung regeln, zuzulassen. Derartige Maßnahmen sind im Hinblick auf Art. 59 MDR mit EU-Recht vereinbar. Danach kann es im Interesse der öffentlichen Gesundheit und zur Sicherstellung der Versorgung geboten sein, Ausnahmen zuzulassen. Insoweit könnten zeitnah Rechtverordnungen erlassen werden, die das Inverkehrbringen von Medizinprodukten zumindest vorübergehend weiter erleichtern, wie etwa Ausnahmen vom Konformitätsbewertungsverfahren.

Dr. Silke Dulle

Robert Schmid


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