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Die Ausnahmen im Leben und die Ausnahme von der Ausnahme von der Ausnahme von der Ausnahme der sachgrundlosen Befristung des Arbeitsvertrags

Über „Ausnahmen“ gibt es viele Sprichwörter, „Ausnahmen bestätigen die Regel“, „Keine Regel ohne Ausnahme“, „Die Ausnahme belästigt die Regel, bis sie selber Regel ist“ oder „Ausnahmen sind zahlreicher als Regeln“. Ausnahmen sind oft erfreulich, weil es einem als etwas Besonderes vorkommt, wie ausnahmsweise das Stück Schokolade während der Diät, das Glas Sekt zum Geburtstag während des alkoholfreien Monats, der ausnahmsweise bessere Preis beim Möbelkauf, den sonst kein anderer Kunde erhält… Es scheint so, als seien Ausnahmen in Wirklichkeit gar keine richtigen Ausnahmen, sondern doch irgendwie eher die Regel. Zur sachgrundlosen Befristung des Arbeitsvertrags hat das BAG im Urteil vom 12.06.2019 (7 AZR 317/17) eine erfreuliche Ausnahme von der Ausnahme der Aus-nahme aufgestellt.

Liebe Leserin, lieber Leser,

nach dem Willen des Gesetzes sind unbefristete Arbeitsverhältnisse die Regel und Befristungen die Ausnahme. Befristungen sind jedoch in der Praxis so häufig, dass sie (fast) nicht mehr als Ausnahme von dem unbefristeten Arbeitsverhältnis, sondern als Regel angesehen werden können. Innerhalb der Befristungen ist die Befristung mit sachlichem Grund gemäß § 14 Abs. 1 TzBfG die Regel und die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrags ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes nach § 14 Abs. 2 TzBfG die Ausnahme. Nach meiner Erfahrung in der Praxis ist auch hier die Ausnahme eher die Regel. Die sachgrundlose Befristung, als Ausnahme der Befristung mit Sachgrund und als weitere Ausnahme des unbefristeten Arbeitsverhältnisses hat enge Voraussetzungen, wie die maximale Dauer der sachgrundlosen Befristung von zwei Jahren. Von diesen engen Voraussetzungen gibt es Ausnahmen für „junge“ Unternehmen und „ältere Arbeitnehmer“. Von der Ausnahme für sachgrundlose Befristungen bei jungen Unternehmen bis zur Dauer von vier Jahren gibt es hingegen eine Ausnahme, wenn die Neugründung des Unternehmens im Zusammenhang mit der rechtlichen Umstrukturierung von Unternehmen und Konzernen steht. Dann gilt die Ausnahme der Privilegierung nicht und es greift wieder die Regel einer maximal zulässigen Höchstdauer der sachgrundlosen Befristung von zwei Jahren. Von der Ausnahme (Nichtanwendbarkeit des Privilegs junger Unternehmen), der Ausnahme (Zulässigkeit einer sachgrundlosen Befristung von über vier Jahren bei jungen Unternehmen), der Ausnahme (Befristung als sachgrundlose Befristung), der Ausnahme (Arbeitsverhältnis als befristetes Arbeitsverhältnis) macht das BAG im Urteil vom 12.06.2019 (7 AZR 317/17) eine weitere Ausnahme. Ich mache keine Ausnahme und stelle in meinem Blog alles noch einmal Schritt für Schritt dar:

Befristung als Ausnahme des unbefristeten Arbeitsverhältnisses

Das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) regelt in §§ 14 ff. TzBfG die Befristung, als Ausnahme der unbefristeten Arbeitsverträge. Die zeitliche Befristung eines Arbeitsvertrags ist zulässig, wenn ein sog. Sachgrund gegeben ist. Als Sachgrund zählt § 14 Abs. 1 Satz 2 TzBfG beispielsweise die Befristung zur Erprobung, die Befristung aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs, die Befristung aufgrund der Eigenart der Arbeitsleistung oder die Befristung zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers.

Sachgrundlose Befristung als Ausnahme der Befristung

Neben der Befristung des Arbeitsvertrags mit Sachgrund, als Regel der Befristung, gibt es auch die sachgrundlose Befristung als Ausnahme. § 14 Abs. 2 TzBfG nennt für die wirksame Befristung des Arbeitsvertrags ohne Sachgrund folgende Voraussetzungen:

  • maximale Dauer der sachgrundlosen Befristung von zwei Jahren (z.B. 01.11.2017 bis 31.10.2019),
  • höchstens dreimalige Verlängerung des kalendermäßig befristeten Arbeitsvertrags innerhalb diesen Zeitraums von zwei Jahren (z.B. sachgrundlos befristetes Arbeitsverhältnis von sechs Monaten wird 3-mal um jeweils weitere sechs Monate verlängert),
  • keine Zuvor-Beschäftigung des Arbeitnehmers bei demselben Arbeitgeber im Rahmen eines befristeten oder unbefristeten Arbeitsverhältnisses.

Änderungen der sachgrundlosen Befristung im Koalitionsvertrag

Im Koalitionsvertrag 2018 sind zur Abschaffung des Missbrauchs der sachgrundlosen Befristung gravierende Einschränkungen vereinbart worden, die aber noch nicht in geltendes Recht umgesetzt wurden:

  • Arbeitgeber mit mehr als 75 beschäftigten Arbeitnehmern dürfen maximal 2,5 Prozent der Belegschaft sachgrundlos befristen. In Zahlen ausgedrückt wären das bei z.B. 200 Beschäftigen lediglich fünf Arbeitnehmer. Bereits mit dieser Hürde ist die sachgrundlose Beschäftigung nahezu „tot“. Bei Überschreiten dieser Quote gilt jedes weitere sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnis als unbefristet abgeschlossen. Eine solche Maximalquote gibt es derzeit nicht. Diese Neuregelung wird Arbeitgeber sehr schmerzen.
  • Die bisher maximale Dauer einer sachgrundlosen Befristung von zwei Jahren bei maximal drei Verlängerungen innerhalb dieses Zeitraums (z.B. 4 mal 6 Monate) soll gemäß dem Entwurf des Koalitionsvertrags erheblich eingeschränkt werden. Zukünftig soll die maximale Dauer der sachgrundlosen Befristung nur noch 18 Monate betragen und es soll innerhalb dieser Maximaldauer nur noch eine Verlängerung (z.B. 2 mal 9 Monate) möglich sein.
  • Abschaffung der „Kettenbefristungen“. Befristungen (sachgrundlos und mit Sachgrund) sind nicht mehr zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein Arbeitsverhältnis mit einer Gesamtdauer von fünf oder mehr Jahren bestand. Auch eine solche maximale Befristungsdauer für Sachgrundbefristungen gab es bisher nicht im Gesetz. Für diese Höchstdauer von fünf Jahren zählen auch Tätigkeiten als Leiharbeitnehmer.
  • Positiv ist für die Arbeitgeberseite, dass wohl gesetzlich geregelt werden soll, dass die „Zuvor-Beschäftigung“, die derzeit heftig in der Rechtsprechung umstritten ist, mit drei Jahren festgelegt werden soll. Das bedeutet, dass ein Arbeitnehmer bei demselben Arbeitgeber nach Ablauf von drei Jahren wieder sachgrundlos befristet beschäftigt werden darf. Nach der derzeitigen gesetzlichen Regelung gibt es keine zeitliche Grenze und auch ein 30 Jahre zurückliegendes Arbeitsverhältnis stünde einer sachgrundlosen Befristung entgegen.

Ausnahme der maximalen Dauer der sachgrundlosen Befristung

Nach derzeitigem Recht dürfen Arbeitsverhältnisse höchstens für einen Zeitraum von zwei Jahren sachgrundlos befristet werden. Nach Umsetzung der Regelungen im Koalitionsvertrag dürfen sachgrundlose Befristungen maximal 18 Monate andauern. Von dieser maximalen Dauer der sachgrundlosen Befristung gibt es zwei Ausnahmen für junge Unternehmen (§ 14 Abs. 2 a TzBfG) und für ältere Arbeitnehmer (§ 14 Abs. 3 TzBfG).

  • Bei neugegründeten Unternehmen, innerhalb der ersten vier Jahre nach der Gründung, können Arbeitsverhältnisse ohne Sachgrund bis zur Dauer von vier Jahren abgeschlossen und innerhalb dieser Zeit auch mehrfach verlängert werden.
  • Bei älteren Arbeitnehmern, die zum Beginn des befristeten Arbeitsverhältnisses das 52. Lebensjahr vollendet haben und unmittelbar vor Beginn des befristeten Arbeitsverhältnisses mindestens vier Monate beschäftigungslos waren, Transferkurzarbeitergeld bezogen haben oder an einer öffentlich geförderten Beschäftigungsmaßnahme teilgenommen haben, können bis zu fünf Jahre sachgrundlos befristet beschäftigt werden. Innerhalb dieser fünf Jahre ist auch eine mehrfache Verlängerung des Arbeitsvertrags zulässig.

Ausnahme vom Privileg junger Unternehmen

Das Privileg junger Unternehmen, Arbeitnehmer innerhalb der ersten vier Jahre nach deren Gründung bis zu vier Jahre sachgrundlos zu beschäftigen gilt nicht, wenn die Neugründung im Zusammenhang mit der rechtlichen Umstrukturierung von Unternehmen und Konzernen erfolgt (§ 14 Abs. 2 a Satz 2 TzBfG). Die Gefahr eines Missbrauchs in Unternehmen und Konzernen, ständig neue Unternehmen zu gründen und damit dauerhaft sachgrundlos Arbeitsverhältnisse zu befristen, wäre zu groß.

Ausnahme von der Ausnahme der Privilegierung junger Unternehmen

Das BAG hat mit Urteil vom 12.06.2019 (7 AZR 317/17) in aus Arbeitgebersicht erfreulicherweise entschieden, dass eine Neugründung im Sinne des § 14 Abs. 2 a TzBfG und damit die Privilegierung junger Unternehmen auch für schon im Konzern bestehende Unternehmen gilt, wenn das Unternehmen ohne Änderung der rechtlichen Struktur eine neue wirtschaftliche Aktivität aufnimmt und verfolgt, die bislang im Konzern nicht wahrgenommen wurde. Im streitgegenständlichen Fall ging es bei der Neugründung um einen Möbelverkaufsstandort. Der Konzern hat bisher bereits mit Möbeln gehandelt, aber nicht in diesem örtlichen Gebiet.

Dies ist eine erfreuliche Entscheidung, da mal wieder zu Gunsten von Arbeitnehmern im Bereich der sachgrundlosen Befristung entschieden wurde.

Ich mache keine weitere Ausnahme, sondern bleibe bei der Regel:

Herzliche (arbeitsrechtliche) Grüße aus München

Ihr Dr. Erik Schmid


Hinweis: Dieser Blog-Beitrag ist bereits im arbeitsrechtlichen Blog von Dr. Erik Schmid im HJR-Verlag erschienen.

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