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Der schmale Grat zwischen "Warehousing" und "Gun-Jumping"

Unterliegt eine Übernahme einer Anmeldepflicht bei der EU-Kommission und wird für die Übernahme ein Zwischenerwerber eingeschaltet (sog. Warehousing), so bedarf bereits der Zwischenerwerb einer vorherigen fusionskontrollrechtlichen Freigabe. Wird der Verkauf an den Zwischenerwerber vor der Freigabe der Kommission vollzogen, liegt darin ein Verstoß gegen die fusionskontrollrechtliche Anmeldepflicht und das Vollzugsverbot.

Sachverhalt

Canon meldete am 12. August 2016 bei der Kommission den geplanten Erwerb der Toshiba Medical Systems Corporation (TMSC) an. Der Zusammenschluss wurde am 19. September 2016 von der Kommission ohne Auflagen genehmigt.

Allerdings hatte bereits vor der Anmeldung des Vorhabens bei der Kommission ein von Canon und Toshiba unabhängiger Zwischenerwerber 95 % des Aktienkapitals von TMSC für einen Kaufpreis von umgerechnet EUR 800 erworben. Gleichzeitig hatte Canon die verbleibenden 5 % sowie Kaufoptionen für das Aktienpaket des Zwischenkäufers zu einem Preis von insgesamt EUR 5,28 Mrd. erworben. Nach der Genehmigung der Übernahme durch die Kommission übte Canon dann seine Aktienoptionen aus und verfügte anschließend über 100 % der TMSC-Anteile.

Entscheidung

Die Europäische Kommission verhängte am 27. Juni 2019 ein Bußgeld in Höhe von EUR 28Mio. gegen Canon. Zur Begründung führte sie an, dass beide Transaktionsschritte einen einheitlichen Übernahmevorgang darstellten. Zwar habe Canon die Kontrolle über TMSC erst im zweiten Schritt endgültig erworben. Schon der erste Schritt habe aber zu dem Kontrollerwerb beigetragen und sei für diesen auch erforderlich gewesen. Da der erste Transaktionsschritt vor der Anmeldung bei der Kommission und ohne deren Genehmigung erfolgte, habe die Übernahme durch den Zwischenkäufer gegen die fusionskontrollrechtliche Anmeldepflicht und das Vollzugsverbot verstoßen.

Bewertung

Die Entscheidung setzt eine bereits im Jahre 2008 eingeleitete Trendwende fort: Wenngleich früher im Einzelfall akzeptiert, betrachtet die Kommission ein "Warehousing" bei M&A-Transaktionen seit der Veröffentlichung ihrer Zuständigkeitsmitteilung grundsätzlich als einheitlichen Übernahmevorgang. Damit gilt das Vollzugsverbot bereits für den ersten der beiden Transaktionsschritte, also das Parken des Zielunternehmens beim Zwischenerwerber.

Canon hat bereits angekündigt, sich gerichtlich gegen die Geldbuße wehren zu wollen. Dabei wird sich Canon voraussichtlich auch auf ein EuGH-Urteil aus dem Mai 2018 berufen, wonach das Vollzugsverbot des EU-Fusionskontrollrechts nur verletzt ist, wenn ein Vorgang "ganz oder teilweise, tatsächlich oder rechtlich zu einer Veränderung der Kontrolle über das Zielunternehmen beiträgt". Unter diese Formulierung lassen sich tatsächlich zahlreiche "Warehousing"-Gestaltungen subsumieren. Deshalb ist bei der Wahl solcher Strukturen im Rahmen von M&A-Transaktionen große Vorsicht geboten.

Die Entscheidung fügt sich schließlich in den Kontext einer verstärkten Verfolgung von Verstößen gegen das EU-Fusionskontrollrecht ein. So verhängte die Kommission im April 2018 gegen das Telekommunikationsunternehmen Altice eine Geldbuße in Höhe von EUR 124,5 Mio. Die Kommission warf dem holländischen Unternehmen vor, schon vor der fusionskontrollrechtlichen Freigabe einen bestimmenden Einfluss auf PT Portugal ausgeübt zu haben. Weitere Bußgeldentscheidungen ergingen gegen Facebook (2017) und General Electric (2019), jeweils wegen unrichtiger Angaben.

Fazit

Das kartellrechtliche Vollzugsverbot ist komplex und muss bei der Strukturierung von Unternehmenskäufen unbedingt beachtet werden. Denn den empfindlichen Geldstrafen der Kartellbehörden entgeht nur, wer von Anfang an und für sämtliche Schritte der Transaktion einen wirklich wasserdichten Ansatz gewählt hat.

Fragen dazu beantwortet Ihnen Uwe Wellmann gerne.

TAGS

Kartellrecht EU-Kommission Warehousing Gun-Jumping Übernahme M&A

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