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Coronavirus und Dienstreisen – Arbeitnehmer mit Fieber bringen Arbeitgeber ins Schwitzen

Das Coronavirus verbreitet sich weiterhin in und außerhalb Chinas trotz erheblicher Maßnahmen, wie Quarantäne für ganze Städte, Pflicht zum Tragen von Atemmasken, Schließung von Flughäfen und Teilen des öffentlichen Nahverkehrs, Streichung von Flügen, vorübergehende Schließung von Betrieben, etc. Viel schneller als das Coronavirus selbst verbreiten sich Gerüchte und Halbwahrheiten rund um diese Krankheit, auch im arbeitsrechtlichen Zusammenhang. Insbesondere stellt sich immer wieder die Frage, ob Arbeitnehmer kraft Direktionsrecht derzeit auf eine Dienstreise nach China oder sogar in das „Coronavirus-Epizentrum nach Wuhan geschickt werden können? Meine Antwort ist (etwas provokant und im Folgenden noch einzuschränken) eindeutig: Ja, klar.

Liebe Leserin, lieber Leser,

es kommt – wie immer – auf den Einzelfall an. Um meine Antwort an einem plakativen Beispiel deutlich zu machen: Kann der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer zwingen, in ein brennendes Haus zu gehen? Ja, klar, wenn der Arbeitgeber die Feuerwehr ist und der Arbeitnehmer Feuerwehrmann. Natürlich nicht, wenn die Tätigkeit des Arbeitnehmers nichts mit brennenden Häusern zu tun hat und er beispielsweise als Bäcker, Metzger, Lehrer, Verkäufer, Maler, etc. beschäftigt ist. Das Coronavirus soll dazu dienen, Rechte und Pflichten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bei Auslandsdienstreisen kraft Direktionsrecht aufzuzeigen:

Begriff der Dienstreise

Eine Dienstreise ist in den Arbeitsgesetzen nicht definiert. Als Dienstreise wird arbeitsrechtlich behandelt, wenn Arbeitnehmer zur Erbringung der Arbeitsleistung an einen Ort außerhalb des zugewiesenen Arbeitsortes reist. Es kommt dabei nicht darauf an, ob es sich um eine inländische oder ausländische Dienstreise handelt, mit welchen Verkehrsmitteln (Flugzeug, Bahn, Auto, Fahrrad) die Reise getätigt wird und ob eine Übernachtung erforderlich ist. Eine Dienstreise ist sowohl eine fünf-tägige Reise mit dem Flugzeug von Frankfurt in die USA, aber auch ein zwei-stündiger Termin in einem vom Arbeitsort 20 km entfernten Ort, der mit dem eigenen Kraftfahrzeug erreicht werden kann.

Pflicht zur Dienstreise

Arbeitnehmer können grundsätzlich zu Dienstreisen verpflichtet sein, wenn die (gelegentliche) Reisetätigkeit im Arbeitsvertrag vereinbart ist oder wenn eine Reisetätigkeit typischerweise mit dem Beruf verbunden ist. Die Dienstreise kann der Arbeitgeber einseitig kraft Direktionsrecht anordnen. Danach ist der Arbeitgeber berechtigt, die Arbeitspflicht hinsichtlich Zeit, Ort, Inhalt und Art der zu leistenden Tätigkeit näher festzulegen.

Verweigerungsrecht des Arbeitnehmers

Das Weisungsrecht gemäß § 106 GewO unterliegt Begrenzungen. Beispielsweise können Begrenzungen von Dienstreisen in Arbeitsverträgen, Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträgen enthalten sein. Eine Weisung des Arbeitgebers darf auch nicht gesetzes- oder sittenwidrig sein, beispielsweise die Anweisung unter Alkoholeinfluss oder ohne Führerschein ein Fahrzeug zu führen. Eine Begrenzung ist auch das sogenannte billige Ermessen. Billiges Ermessen bedeutet, dass eine Abwägung der Interessen des Arbeitnehmers einerseits und der betrieblichen bzw. Arbeitgeber-Interessen andererseits erfolgen muss. Für die Interessen des Arbeitgebers an der Durchführung einer Dienstreise ist die Dringlichkeit der Reise, die Wichtigkeit der Reise, Alternativmöglichkeiten durch Telefonate oder Treffen an anderen Orten, eine Verschiebung der Reise, etc. zu berücksichtigen. Für den Arbeitnehmer muss insbesondere auch aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers die Unversehrtheit von Leib und Leben des Arbeitnehmers, familiäre Aspekte, Dauer der Dienstreise, Gefährdungssituation bei einer solchen Dienstreise, etc. berücksichtigt werden.

Wenn bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen ersichtlich wird, dass die Interessen des Arbeitnehmers überwiegen, ist der Arbeitnehmer berechtigt, die Dienstreise zu verweigern. Der Arbeitnehmer hat dann keine Sanktionen zu befürchten. Wenn die Interessen des Arbeitgebers an der Durchführung der Dienstreise überwiegen, hat der Arbeitnehmer die Weisung zu befolgen und die Dienstreise durchzuführen. Anderenfalls würde er die Arbeit verweigern. Dies könnte der Arbeitgeber durch Abmahnung oder Kündigung sanktionieren.

Fürsorgepflicht des Arbeitgebers

Die Fürsorgepflicht ist eine Nebenpflicht und damit zwingender Bestandteil des Arbeitsverhältnisses. Die Fürsorgepflicht verpflichtet den Arbeitgeber, die Arbeitsleistung vom Arbeitnehmer nur so zu verlangen, dass die Interessen des Arbeitnehmers unter Berücksichtigung der Belange des Betriebes und der Interessen der Belegschaft nach Treu und Glauben ausreichend berücksichtigt werden. Zur Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gehören Schutz von Leib und Leben der Person des Arbeitnehmers, für das Eigentum und die Gegenstände des Arbeitnehmers, den Schutz der

Vermögens- und Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers.

Im Falle des Coronavirus´ und Dienstreisen steht die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers insbesondere hinsichtlich der Gesundheit und gegebenenfalls des Lebens des Arbeitnehmers im Vordergrund. Bei jeder einzelnen Dienstreise ist deshalb im Einzelfall die Verhältnismäßigkeit und die Interessenabwägung durchzuführen. Bei Dienstreisen nach China und/oder Asien

sind dabei nicht nur der reisende Mitarbeiter, sondern auch alle anderen Arbeitnehmer zu berücksichtigen. Nach Rückkehr von der Dienstreise und einer möglichen Infizierung mit dem Coronavirus ist der Arbeitgeber auch verpflichtet, die Belegschaft am Standort vor einer möglichen Ansteckung zu schützen. Folgende Möglichkeiten kommen deshalb beispielsweise in Betracht:

  • Vollumfängliches Verbot von Dienstreisen nach China bzw. einzelne Städte/Regionen
  • Dienstreisen nach China nur in Ausnahmefällen und nach Zustimmung des Vorstands/Geschäftsführung
  • „Quarantänemöglichkeit“ nach der Dienstreise im Home-Office
  • Schließung von einzelnen Betrieben/Betriebsteilen
  • Alternativen zu Dienstreisen, wie Treffen an „neutralen“ Orten
  • Verschiebung von Dienstreisen auf einen späteren Zeitpunkt.

Damit kann selbst derzeit ein Arbeitnehmer kraft Direktionsrecht nach China oder auch in das „Epizentrum“ des Coronavirus´ nach Wuhan kraft Direktionsrecht auf eine Dienstreise gesendet werden. Beispielsweise, wenn der Arbeitnehmer im Katastrophenschutz oder im medizinischen Bereich in Deutschland tätig ist und vor Ort chinesische Krankenhäuser oder chinesische Behörden unterstützen soll.

Herzliche (arbeitsrechtliche) Grüße und bleiben Sie vom Coronavirus verschont

Ihr Dr. Erik Schmid


Hinweis: Dieser Blog-Beitrag ist bereits im arbeitsrechtlichen Blog von Dr. Erik Schmid im HJR-Verlag erschienen.

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