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Angabe der voraussichtlichen Abrufmengen bei Rahmenvereinbarungen

Der Europäische Gerichtshof hat sich vor Kurzem zu der Frage geäußert, ob bei der Ausschreibung von Rahmenvereinbarungen, die für einen nachträglichen Beitritt weiterer Auftraggeber offen stehen, eine Höchstmenge der abzurufenden Leistungen veröffentlicht werden muss (Urteil vom 19.12.2018, C-216/17).

Der Sachverhalt

Der öffentliche Auftraggeber hatte eine Rahmenvereinbarung mit neunjähriger Laufzeit über Krankenhausreinigungsleistungen an einen Auftragnehmer vergeben. Die Rahmenvereinbarung enthielt eine Erweiterungsklausel. Diese zählte mehrere weitere öffentliche Auftraggeber auf, die berechtigt sein sollten, in diese Rahmenvereinbarung einzutreten und ebenfalls Leistungen darunter abzurufen. Einer jener genannten Auftraggeber machte von dieser Möglichkeit Gebrauch. Gegen den Eintritt dieses weiteren Auftraggebers in die Rahmenvereinbarung wandte sich unter anderem dessen bisheriger Dienstleister. Der mögliche Umfang der Leistungen, die die von der Erweiterungsklausel erfassten Auftraggeber abrufen konnten, war in der Rahmenvereinbarung nicht beschränkt oder näher konkretisiert. Die Rahmenvereinbarung sah lediglich vor, dass die Auftraggeber unter der Rahmenvereinbarung Leistungen im Rahmen ihres „normalen Bedarfs“ abrufen durften.

Die Entscheidung

Der Europäische Gerichtshof hatte den Fall auf Grundlage der alten Vergaberichtlinie 2004/18 zu entscheiden (zur Übertragbarkeit noch sogleich).

Gegen die Erweiterungsklausel der Rahmenvereinbarung als solche hatte das Gericht zunächst keine Einwendungen. Eine Vertragsregelung, die anderen öffentlichen Auftraggebern neben demjenigen, der die Rahmenvereinbarung ursprünglich ausgeschrieben und abgeschlossen hat, ebenfalls den Zugang zu dieser Rahmenvereinbarung öffnet, sieht er als vom (europäischen) Vergaberecht gedeckt an. Eine solche Erweiterungsklausel ist zulässig, wenn die öffentlichen Auftraggeber, die sie in Anspruch nehmen können sollen, eindeutig in den Vergabeunterlagen genannt sind.

Nicht einverstanden war der Europäische Gerichtshof jedoch mit der Art, wie der Umfang der von den neu hinzutretenden Auftraggebern vertraglich abrufbaren Leistungen festgelegt war. Der Gerichtshof stellte fest, dass es weder zulässig ist, den abzurufenden Leistungsumfang ganz offen zu lassen, noch ihn lediglich unter Bezugnahme auf den „normalen Bedarf“ der weiteren Auftraggeber zu bestimmen. Der Gerichtshof begründet seine Entscheidung mit einer Reihe von Erwägungen. Insbesondere stellte er auf die Anforderungen des unter der Richtlinie 2004/18 anwendbaren EU-Auftragsbekanntmachungsformulars ab. Dieses verlangte die Angabe des für die gesamte Laufzeit einer ausgeschriebenen Rahmenvereinbarung veranschlagten Gesamtwerts der Dienstleistungen. Vor diesem Hintergrund bewertete der Gerichtshof die Angabe der Gesamtmenge der Leistungen unter der Rahmenvereinbarung – einschließlich der „Folgeaufträge“ der neu hinzutretenden Auftraggeber – als unverzichtbar. Darüber hinaus folgerte der Gerichtshof die Notwendigkeit einer präzisen Höchstmengenangabe aus den allgemeinen vergaberechtlichen Grundsätzen der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und Transparenz. Danach seien alle Bedingungen und Modalitäten des Vergabeverfahrens in der Auftragsbekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen klar, genau und eindeutig zu formulieren. Eine Bezugnahme auf den „normalen Bedarf“ ließ der Gerichtshof insoweit nicht ausreichen: Der „normale Bedarf“ einzelner Auftraggeber sei für die Wirtschaftsteilnehmer (zumal für solche im Ausland) nicht ausreichend sicher abzuschätzen.

Praxistipp

Dass der Europäische Gerichtshof die Erweiterungsklausel nicht beanstandet, ist keine Überraschung. Sie entspricht den heutigen Regelungen nach der aktuellen Vergaberichtlinie 2014/24 und nach § 21 Abs. 2 Satz 2 VgV. Eine hinreichend präzise Erweiterungsklausel dürfte auch den Anforderungen aus § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GWB genügen, sodass auch die Ausweitung des persönlichen Anwendungsbereichs einer Rahmenvereinbarung auf weitere Auftraggeber unter den vom Europäischen Gerichtshof genannten Voraussetzungen zulässig ist.

Nicht ganz so eindeutig übertragbar auf die heutige Rechtslage ist die Auffassung des EuGH zur zwingenden Angabe der unter der Rahmenvereinbarung abrufbaren Höchstmenge. Das vom Gerichtshof maßgeblich zur Begründung herangezogene EU Auftragsbekanntmachungsformular verlangt in seiner heute aktuellen Fassung nämlich keine Angabe des veranschlagten Gesamtwerts der Rahmenvereinbarung als Pflichtangabe mehr. Trotzdem sind öffentliche Auftraggeber in der Regel gut beraten, präzise Angaben zu den unter der Rahmenvereinbarung abrufbaren Höchstmengen zu machen. Denn zum einen stützt der EuGH seine Beurteilung (auch) auf die weiterhin geltenden vergaberechtlichen Grundprinzipien, insbesondere das Transparenzgebot. Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch die deutsche Rechtsprechung diese in § 97 GWB verankerten Grundprinzipien ausreichen lässt, um solche Angaben zu verlangen. Darüber hinaus fordert auch § 21 Abs. 1 Satz 2 VgV, dass bei Rahmenvereinbarungen das in Aussicht genommene Auftragsvolumen „so genau wie möglich“ ermittelt und bekanntgegeben wird. Auch nach dem aktuellen deutschen Recht muss sich der öffentliche Auftraggeber daher hinsichtlich der unter der Rahmenvereinbarung abrufbaren Leistungen ernsthaft mit dem in Aussicht genommenen Gesamtauftragsvolumen auseinandersetzen. Offen lassen kann er dies nicht. Auch der Verweis auf den „normalen Bedarf“ der beteiligten Auftraggeber dürfte kein „so genau wie möglich“ ermitteltes Auftragsvolumen sein.

Weitere Fragen rund um dieses Thema beantwortet Jan Christian Eggers gerne.

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