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9 Monate? 10 Monate? 280 Tage? Wann beginnt und wie lange dauert die Schwangerschaft?

Wann beginnt die Schwangerschaft? Die Frage passt an sich (fast) besser in die „Bravo“ zur Beantwortung durch das Dr. Sommer-Team. Die Frage passt aber auch in einen arbeitsrechtlichen Blog. Keine Angst, dieser Blog-Beitrag wird ausschließlich rechtliche Aspekte betrachten und ist in FSK ab 0 äh FSB ab 0 (Freiwillige Blogwirtschaft) einzuordnen. Der Autor setzt voraus, dass die Frage, wie es zur Schwangerschaft kommt, bei den Lesern allgemein bekannt ist.

Liebe Leserin, lieber Leser,

wann beginnt die Schwangerschaft und wie lange dauert sie? Es werden medizinisch und juristisch die unterschiedlichsten Zeiträume genannt. Ganz unjuristisch und ganz unmedizinisch behaupte ich – als Vater von drei Kindern –, dass das Kind kommt wann es will und sich jedenfalls meine Kinder an keine Berechnung gehalten haben.

Kenntnis von Schwangerschaftsbeginn rechtlich erforderlich

Der juristische Beginn der Schwangerschaft ist aus vielerlei Hinsicht wichtig zu wissen. Ab Beginn der Schwangerschaft bestehen zahlreiche Schutz- und Fürsorgepflichten (z.B. §§ 9 f. MuSchG), Beschäftigungsverbote (z.B. § 11 MuSchG), ein Kündigungsverbot (§ 17 MuSchG) oder das Recht Elternzeit zu beantragen.

Beginn der Schwangerschaft

Eine Schwangerschaft beginnt mit der Befruchtung der Eizelle. Die Eizelle wird in der Regel frühestens nach einem Tag, spätestens fünf Tage nach dem sexuellen Kontakt befruchtet. Im Falle einer in-vitro-Fertilisation beginnt die Schwangerschaft mit Einsetzung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter.

Der ganz genaue Beginn der Schwangerschaft lässt sich damit nur ungefähr erahnen. Rechtlich wird deshalb nicht am Beginn der Schwangerschaft angesetzt, sondern an dem medizinisch berechneten Entbindungstermin. Der medizinische Entbindungstermin wird wie folgt berechnet:

  • erster Tag der letzten Periode
  • minus drei Monate
  • plus sieben Tage
  • plus ein Jahr.

Der (Frauen-)Arzt erteilt ein ärztliches Attest über die Schwangerschaft zur Vorlage beim Arbeitgeber. Das Attest soll den voraussichtlichen Tag der Entbindung enthalten (§ 15 MuSchG). Aufgrund der Unsicherheit beim Beginn der Schwangerschaft stellt das BAG für eine gewisse Rechtssicherheit pauschal auf einen fiktiven Beginn der Schwangerschaft ab, der 280 Tage vor dem – durch den Arzt – errechneten Geburtstermin liegt.

LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 01.12.2021 – 4 Sa 32/21

Arbeitgeber und Arbeitnehmerin streiten über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 06.11.2020, zugegangen am 07.11.2020. Die Arbeitnehmerin behauptete, im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung schwanger gewesen zu sein und legte ein ärztliches Attest vom 26.11.2020 vor. Errechneter voraussichtlicher Geburtstermin war der 05.08.2021. Der Arbeitgeber wehrte sich gegen die pauschale Berechnung des Schwangerschaftsbeginns.

Das LAG führte auszugsweise aus: Eine Kündigung sei während der Schwangerschaft unzulässig. Für diesen Sonderkündigungsschutz müsse zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung eine Schwangerschaft bereits bestanden haben. Um die Sicherheit und den Schutz der schwangeren Arbeitnehmerin zu gewährleisten, sei vom frühestmöglichen Zeitpunkt einer Schwangerschaft auszugehen, die Beweislast für das Vorliegen einer Schwangerschaft zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung trägt jedoch die Arbeitnehmerin.

Das BAG wende in ständiger Rechtsprechung das pauschale Rechenmodell an, vom ärztlich festgestellten voraussichtlichen Entbindungstermin 280 Tage zurückzurechnen. Dieser Zeitraum umfasse die mittlere Schwangerschaftsdauer und markiere die äußerste zeitliche Grenze, innerhalb derer bei normalem Zyklus eine Schwangerschaft vorliegen könne. Das BAG räume selbst ein, dass mit dieser Berechnungsweise auch Tage in den Schutz einbezogen werden, in denen das Vorliegen einer Schwangerschaft eher unwahrscheinlich sei, da eine Befruchtung der Eizelle erst nach dem Eisprung möglich ist, der durchschnittliche Zeitpunkt des Eisprungs aber erst beim 12. bis 13. Zyklustag angenommen werde. Weil es sich aber nur um eine Wahrscheinlichkeitsberechnung handele, müssten zum Schutz der Arbeitnehmerinnen alle Wahrscheinlichkeiten in den Schutzzeitraum einbezogen werden.

Das LAG folgt dieser pauschalen Berechnung nicht und schließt sich der Kritik an, wonach das BAG die rechtlichen Voraussetzungen des Kündigungsschutzes (also die Existenz der Schwangerschaft) mit der prozessualen Frage des Nachweises der Schwangerschaft vermengt und dadurch den Schutzzeitraum überdehne. Eine Wahrscheinlichkeitsbeurteilung könne aber nur für einen Zeitraum von 266 Tagen vor der (voraussichtlichen) Entbindung getroffen werden. Die – letztlich fiktive – Vorverlegung des Schwangerschaftsbeginns auf den ersten Tag der letzten Regelblutung bezieht den Kündigungsschutz auf einen Zeitpunkt, zu dem eine Schwangerschaft nicht nur wenig wahrscheinlich, sondern extrem unwahrscheinlich und praktisch fast ausgeschlossen ist. Eine solche Vorverlegung des Kündigungsschutzes auf einen Zeitpunkt vor Beginn der Schwangerschaft hat zugleich den Effekt, dass einer zunächst wirksamen Kündigung durch den praktisch stets zeitlich später liegenden tatsächlichen Schwangerschaftsbeginn nachträglich die Wirksamkeit genommen wird.

Das LAG hat den Sonderkündigungsschutz nach dem Mutterschutzgesetz deshalb verneint. Das LAG hat von dem ärztlich berechneten voraussichtlichen Entbindungstermin am 05.11.2021 nicht 280, sondern nur 266 Tage zurückgerechnet. Die Schwangerschaft und damit der Sonderkündigungsschutz begannen erst am 12.11.2020 und somit vier Tage nach Zugang der Kündigung.

Fazit

Es lohnt sich (rechtlich) genauer hinzuschauen.

Herzliche (arbeitsrechtliche) Grüße

Ihr Dr. – iur. nicht med. – Erik Schmid

Dieser Blog ist bereits im arbeitsrechtlichen Blog von Erik Schmid im Rehm-Verlag (www.rehm-verlag.de) erschienen.

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Arbeitsrecht Schwangerschaft Schwangerschaftsbeginn Kündigungsschutzgesetz pauschale Berechnung

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